Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
Vom Netzwerk:
bespitzelt, ohne Verdächtiges zu bemerken. Endlich gelang es mir, Hein aus dem Kreise seiner Bewunderer herauszulotsen und in einen Hausflur zu zerren. Er war gleich bei der Sache und ganz nüchtern. Wir berieten, wie wir uns am unauffälligsten an Morgons Burg heranschleichen könnten. Die Straßen der Millionäre waren menschenleer, man mied sie, weil es da weder Vergnügungsstätten, noch Kaufhäuser gab. Wahrscheinlich wurden sie von Detektivs überwacht. Es war also nicht einfach, heranzukommen, ohne aufzufallen.
    Hein überlegte angestrengt, dann schlug er vor, wir sollten uns zwei Engelsmonturen aus der Schnellkirche besorgen und dem alten Morgon als Gespenster erscheinen. Er hätte darin Übung, war’ mal in Boston ne Zeitlang Hilfsgeist in nem spiritistischen Klub gewesen. Fing auch sofort an, mit großer Kraft und Rührung einen englischen Choral zu singen. Ich war nahe daran, zu verzweifeln. »Bekümmer’ dich man nich«, sagte er und fuhr sich salbungsvoll wie ein Pastor durch die Haare, »et is man bloß n Spaß …« Darauf kam ihm wirklich ein guter Einfall. Wir sollten uns stockbesoffen stellen, durch die Straßen torkeln, als hätten wir jede Richtung verloren, vor Morgons Besitzung niederfallen und scheinbar einschlafen. Vielleicht könnten wir so eine Gelegenheit ausbaldowern, in die Villa einzudringen.
    Wir drückten uns die Hände, wußten wir doch nicht, ob wir die nächsten Stunden überstehen würden, und mischten uns, schon in unserer Rolle schwankend und uns gegenseitig stützend, ins Gewühl. Wir waren aber noch keine zehn Schritt vorangekommen, als sich eine hübsche Dirne in Heins Arm einhing, seinen Kopf he rabzog und ihn begehrlich auf die Lippen küßte.
    Er hob sie auf seinen Arm, riß sich von mir los, schrie: »Abgemacht – komme bald zurück!« … und verschwand im Strudel der Menge. Einen Augenblick lang sah ich noch die Beine des Mädchens zappeln, dann stand ich allein. Verfolgung war unsinnig. Die Menschenmauer, die sich vor Hein bereitwillig geteilt hatte, schob sich dicht und undurchdringlich um mich. Langsam, denn ich hatte noch Zeit, bahnte ich mir meinen Weg.
     
25
     
    Die Leuchtstreifen längs der Trottoirs, die ein mildes Licht über den Fahrdamm ausgossen, endeten vor der großen Parkstraße. Sie lag in schweigender Finsternis. Die Gebäude zeichneten sich schwarz und drohend gegen den Nachthimmel ab, den blasse Röte, vom Lichtrausch der Vergnügungsstadt reflektiert, entzündete.
    Keines der Häuser schien bewohnt zu sein. Kein Fenster zeigte sich erhellt. Wahrscheinlich hielt man sich in abgeblendeten Räumen nach der Gartenseite auf.
    Obwohl die Dunkelheit nahezu vollkommen war – der Mond war erst gegen Morgen zu erwarten –, taumelte ich als Betrunkener weiter, setzte mich auf den Bordstein oder lehnte mich an ein Gitter, sang leise vor mich hin, schwankte vor und zurück. Diese scheinbare Haltlosigkeit ermöglichte mir, nach allen Richtungen auszuspähen. Immer noch fühlte ich mich beobachtet, obwohl kein Mensch weit und breit zu sehen oder zu hören war. Endlich hatte ich mich bis zu Morgons Tor herangearbeitet. Ich rutschte am Pfeiler herab, saß mit ausgestreckten Beinen und vornübergeneigtem Kopf und ließ ihn im Scheinschlaf baumeln und nicken.
    In dieser Lage hielt ich bis nach Mitternacht aus. Ich tastete meinen Besitz nach Einbrecherwerkzeugen ab. Leider hatte ich Hein die Stahlsägen überlassen. Ich besaß nur einige Dietriche, scharfe Feilen, Drahtscheren und ein kleines Stemmeisen. Das Wichtigste waren jedenfalls die starken Handschuhe und Überschuhe aus Isoliergummi. Daß das Gitter in seinem oberen Teil elektrisch gesichert sei, hielt ich für selbstverständlich. Wer weiß, welche Teufeleien noch auf mich lauerten. Ich trug ein selbstleuchtendes Galvanometer bei mir, das mir die Nähe von elektrischen Kraftfeldern anzeigen sollte.
    Ab und zu huschte der bleiche Strahl eines der Turm-Scheinwerfer über mich hin, blieb an den stählernen Säulen, die in der letzten Nacht unter Nebelschutz aus dem Boden gewachsen waren, hängen und huschte dann weiter. Das sollten sie mal lieber lassen, ärgerte ich mich. Wenn mich das Licht gerade beim Überklettern des Gitters erwischte, dann war Feierabend.
    Die lange Zeit des Wartens verging mir im Fluge. Meine Phantasie arbeitete mit Überdruck. Ich glaubte, alle Gefahren, die überhaupt nur vorstellbar waren, überdacht und in meine Rechnung eingestellt zu haben.
    Hein gab ich natürlich verloren.

Weitere Kostenlose Bücher