Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
Vom Netzwerk:
an.
    Wir bohrten uns durch das Menschengewühl nach dem Ausgang. Man mußte einzeln zwischen Tischen passieren, auf denen Werbelisten auslagen. Keiner kam hinaus, der sich nicht eingetragen hatte. Und alle schrieben mit Begeisterung ihr Todesurteil. Wir entgingen diesem Schicksal nur, indem wir grobe Besof fenheit markierten und uns zwischen trampelnden Fü ßen hinauswälzten. Man lachte uns nach: »Die kommen schon wieder …«
    Da lockte uns ein anderer großer Holzbau an, der über und über blau angestrichen war. Sternartige Glasröhren bildeten eine Leucht-Inschrift: »Hast du dich schon mit deinem Gott ausgesöhnt? – Tritt ein! In fünf Minuten bist du des ewigen Heiles sicher!«
    Vor dem spitztorigen Eingang standen in langen, weißen Hemden und goldlockigen Perücken geschminkte Männer, die aus silbernen Posaunen Choräle schmetterten. Je drei auf jeder Seite. An ihren Schultern wippten Flügel.
    Hier rettete ein feister Priester in buntbestickter Sto la die Seelen, indem er mit seinem Krummstab herumstreifende Pärchen am Halse wie Gänse einfing und unter Scherzworten ins Innere trieb.
    »Schämt ihr euch nicht?« rief er mit listig zwinkernden Äuglein, »der sündigen Lust zu frönen, ohne euren Herrgott um tatkräftigen Beistand anzuflehen? Hier werdet ihr kostenlos in fünf Minuten ehrliche Christen und Eheleute. Das muß jeder mitgemacht haben! Das macht Spaß! Das macht Vergnügen! Hier sind zu sehen die Freuden des Paradieses und das Schlaraffenleben der Erzengel! Das bietet kein Theater und kein Kino!«
    »Alle Stunden Abendmahl, sieben auserwählte Gänge, vom Chefkoch des Edenhotels komponiert, und den herrlichen Palästinawein. Süß und feurig!«
    »Nur noch drei Tage diese Sensation!«
    Dazwischen erteilte er Segen massenweise.
    Der Massenbetrieb im Innern war hervorragend organisiert. In der ersten Abteilung wurde man aus goldenen Taufbecken eilends getauft, in der zweiten vor einem pompösen Altar, von Weihrauch umschwängert, christlich getraut. Im dritten und größten Raum erfolg te unter dem Präsidium eines Priesters an weißgedeckten und mit Kristall bestellten Tafeln die Massenabfütterung. Speisen und Weine waren wirklich erstklassig. Auf kleinen Emporen sangen Knabenchöre. Auch hier gab es eine Bühne, auf der man in wechselnden Bil dern die himmlischen Freuden darstellte.
    Engel flogen hin und wieder. Am elektrisch umflammten Himmelstor wartete Petrus auf arme Seelen. Wenn sie antworten konnten, daß sie von der utopischen Hochkirche getauft und geweiht worden seien, wurde ihnen unter Orgelspiel und Posaunentusch das Tor geöffnet, Flügelchen wuchsen ihnen und sie huschten auf zarten rosa Wölkchen fröhlich aufwärts. Wenn sie aber die Antwort schuldig bleiben mußten, donnerte sie Petrus an: »Was, ihr verdammten Roten, ihr wagt euch in meine Nähe? Fahrt zum Teufel!« Und er versetzte den Schreckbebenden wohlgezielte Fußtritte, daß sie abwärts und geradenwegs in den gräßlichen Höllenrachen rollten, der sie zwischen glühenden Reißzähnen zermalmte.
    Währenddessen liefen über die mattgoldenen Längswände des Speisesaales in mystischem Blaulicht Leuchtinschriften: »Selig sind die Armen …«, »Du sollst der Obrigkeit Untertan sein …«, »Frohlocke über Unglück und Prüfungen, sie sichern dir einen Ehrenplatz an der Tafel Gottes.«
    Dieser sonderbare Tempel erfreute sich unaufhörlichen Massenandranges. Jeder wollte an den unbekannten Zeremonien teilhaben. Man fand es ungeheuer spaßhaft, verheiratet zu werden. Der ganze Zauber dieser Buntglasmystik, der schweren Würzdüfte und feierlicher Musik wirkte auf die umnebelten Sinne. Noch gab es viele, die sich dieser Art Religion wie einem launigen Spiel ergaben. Andere aber nahmen es ernster, glaubten, an etwas zu glauben, wenn sie den Weihwassertropfen an der Stirn spürten, und nannten sich überzeugte Christen, wenn sie den Fünf-Minuten-Tempel verlassen hatten.
    Der schwere Palästinawein hatte Hein in Stimmung gebracht. Er fand das bunte Treiben gar nicht so übel.
    Ich warnte ihn und empfahl ihm, seine elektrische Schutzmaske einzuschalten. Er war gekränkt. Ein Waschlappen sei er nicht. Er wisse trotzdem ganz genau, zu welchem Zweck wir uns in diesen Jahrmarkt gemischt hätten.
    Wir verließen den Rummelplatz, stiegen über Betrunkene, die auf dem Rasen schnarchten, und stöberten ohne Absicht in blühenden Bosketts frischgetraute christliche Ehepaare auf, die das Paradies auf Erden erprobten.
    In U-Privat

Weitere Kostenlose Bücher