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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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Granitbrocken hatte ihm das Rückgrat zerschmettert.
    Die Geldleute wollten den roten Turm sprengen, und zwar schnell. Da galten Menschenleben nichts.
    Ich warf die Schaufel hin, benutzte Büsche und Bee te als Deckung, und schlich mich aus dieser Hölle.
    Auf den Straßen schob sich die graue Menge zerlumpt und hungrig. Kinder und Frauen bettelten vor den Kasernenausgängen um Küchenabfalle. Polizei trieb neue Scharen von Kulis nach den Arbeitsplätzen. Das Durcheinander war unbeschreiblich.
    Die Fahrzeuge gehörten jetzt der Herrenkaste und ihren Bütteln. Proleten mußten laufen. Da die Signalaugen an den Straßenkreuzungen längst erblindet waren, und sich niemand auf die Feinmechanik der Selbstlenkung verstand, nahmen wieder die Hände das Steuer und bewirkten aus Unachtsamkeit oder Übermut zahllose Unfälle, zumal man die Dachstraßen zerstört hatte, und alles Volk in die früheren Verkehrswege zwängte, der besseren Kontrolle wegen, wie es hieß. Der Lärm der Hupen, in Utopien längst unbekannt, drohte die Trommelfelle zu sprengen und verwirrte die Passanten.
    Ich kam nicht schnell vorwärts im Gewühl; erst weiter draußen – der Wohnblock 267 lag fast an der Stadtgrenze – verebbte der Menschenstrom.
    Nun aber Laufschritt. Die Sonne hing schon in den Bäumen. Nach Einbruch der Nacht wollte ich am Handelsklubhaus sein. Ich wagte gar nicht daran zu denken, wie weit es bis dorthin quer durch die ganze Stadt wäre, meine Füße brannten schon jetzt wie Feuer.
    Da hörte ich aus den Feldern rechts vor mir leise Musik. Aus dem staubigen Nebel blinkte es metallisch. Ich blieb stehen und fragte einen Mann, was es da gäbe.
    »Kaiserparade, du Lümmel«, herrschte er mich an.
    »Die sollte doch am Vormittag sein?«
    »Seine Majestät geruhten eben noch nicht einzutreffen«, knurrte er wie ein Fleischerhund; »schadt nischt, wenn die Kerls ’n paar Stunden strammstehn.«
    »Wer bist denn du?« fragte ich den zackigen Mili tärfreund verwundert.
    Brüllte mich an: »Nimm die Knochen ’zamm; du stehst vor einem kaiserlichen Straßenreinigungs-Inspektor, verstann’! Zeig mal deine Legitimation, du Landstreicher. Werd dich melden …«
    Ich haute ihm eine runter, daß er sich erstaunt in ei ne Stechpalme setzte, und rannte davon.
     
31
     
    Die sonderbare Kaiserparade zog mich an. Morgon hielt Bob entweder gefangen oder beriet mit ihm ein ganzes Staatsprogramm. Daß hier mehr als hunderttausend Mann seit sechs oder sieben Stunden in der Sonne schmorten, ließ ihn natürlich völlig gleichgültig.
    Ich schlug mich durch die Felder. Zwischen Maisstauden erspähte ich einen Geräteschuppen, der dicht am neuen Exerzierplatz abschnitt. Von seinem Dach aus übersah ich die ganze hingebaute Kriegsmacht. Tiefgestaffelt stand Regiment bei Regiment.
    In der Mitte des riesigen Vierecks hielten höhere Offiziere in Gruppen. Aus ihren Gesten sprach Langeweile und unterdrückter Ärger. Verstohlen zogen sie ihre Uhren.
    Musikkapellen spielten Märsche, um die Mannschaften bei guter Laune zu halten. Aber häufig genug entstand eine kleine Bewegung in den Reihen; Sanitätsleute sprangen hinzu, und man trug einen, den die Hitze umgeworfen hatte, eilig hinter die Front.
    Ich wollte meine Zeit nicht mit diesem toten Schauspiel vertrödeln, und beschloß den Rückzug anzutreten. Im Block 267 würden mich wichtigere Dinge erwarten. Den Zauber kannte ich zur Genüge. Die kronprinzlichen Ehrenaufmärsche vor Verdun liegen mir heute noch in den Knochen. Fort also und zurück.
    Da tönte, gerade als ich mit halbem Körper in der Luft hing, Fanfarengeschmetter unheimlich laut, als sollte die Welt untergehen. Ich zog mich wieder hinauf.
    Ihr wißt, daß ich kein Hasenfuß bin und nicht leicht aus der Ruhe zu bringen; was ich aber hier sah, drückte mir die Luft ab. Inmitten des Platzes fuhren langsam zwei riesige eisengraue Tanks, ich hörte ihre Raupenbänder klappern, Kanonen schwenkten aus den Panzertürmen und krachten blinde Salven über die Truppen hin. Woher sie gekommen, ob sie aus der Erde gewachsen oder aus der Luft gefallen waren? Jedenfalls, sie waren da. Daß man sie nicht erwartet hatte zeigte sich, indem die Generäle und Würdenträger vor ihnen ausrissen wie Schafleder. Auch die Soldaten wurden von der Panik ergriffen und wandten sich zur Flucht. Da stand plötzlich wie hingehext ein Kerl, hoch wie ein Haus, breitbeinig mit jedem Stiefel auf einem der Kriegswagen. Bis an die Zähne bewaffnet war dieses Scheusal.

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