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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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richtige Organisation und ’n Streik ist, Mensch, das kann noch lange dauern.«
    Er zupfte verlegen und hilflos an seiner dünnen Jacke.
    »Könnt’st mich ’n bißchen ablösen, Karl«, meinte er müde. »So zwei, drei Stunden wenigstens …«
    Ich klärte ihn über die Absichten von Joll auf. Keine Stunde sei mehr zu verlieren. Er nickte. »Es geht zu Ende. Hab’ mir’s gedacht, wie ich hörte, daß sie an den Turm heranwollen.«
    Er bot sich an, mir bei meiner Unternehmung gegen Morgon zu helfen.
    »Hat keinen Zweck, Hein. Ob’s mir allein gelingt, bezweifle ich. Wenn wir aber zu zweit gehn, bedeutet’s sicheren Selbstmord.«
    »Du denkst, ich lauf wieder davon?« flüsterte er. »Mach’ dir deshalb keine Sorge! Ich bin nüchtern geworden. Den Bob hab ich zum Kaiser gesalbt mit dem letzten Schnaps, den ich erwischen konnte. Hab genug davon. Kannst mir ’n Dutzend Pullen vom besten alten Korn unter die Nase bauen … vorbei!« Er scheuchte die Erinnerung an seinen Riesenrausch mit entschiedener Ekelgebärde von sich. Ich glaubte ihm.
    »Gut«, meinte er, nachdem ich ihm nochmals meinen Plan auseinandergesetzt hatte. »Bleibe auf meinem Posten. Will sehn, daß ich diese dummen Küken vor der Katz’ in Sicherheit bringen kann.« Er deutete fast mit mütterlicher Zärtlichkeit auf die Versammelten, die verständnislos unserem Gespräch lauschten.
    Ich sprang auf eine Kabelrolle und schrie:
    »Genossen! Ihr müßt die Stadt verlassen. Utopolis wird in wenigen Stunden zerstört. Laßt eure paar Habseligkeiten zurück. In wenig Tagen wird euch alles ersetzt und viel besser und schöner.
    Lauft über die Felder, so viel Stunden, als euch die Beine tragen. Hein wird euch führen!«
    Frauen weinten. Männer riefen uns entgegen: »Wer gibt uns denn zu essen … wo sollen wir denn schlafen? Wir verlieren unser Brot … sie werden uns den Arbeitsvertrag entziehen willst uns bloß ins Unglück hetzen!«
    Im Hintergrund rumorte es gefährlich. »Achtgroschenjunge!« schimpften welche. »Der Kerl will uns den Gummiknüppeln ausliefern, reibt ihm die Schale blank! …«
    Hein sprang auf und donnerte: »Wacht auf, Verdammte dieser Erde! …« Da fielen sie zögernd und doch gehorsam ein, manche falteten die Hände, als wollten sie beten.
    »Da siehst du, wie sie sind«, raunte mir Hein traurig zu, während er wieder Takt schlug, wie früher bei seinem Engelschor, »kleine Kinder …«
    Nach dem Gesang trat er vor mich hin und fing geduldig an: »Hört mal schön zu, Genossen. Ich will euch mal ’ne Geschichte erzählen, die bei uns in Europa passiert ist …« Mächtiges Gepolter unterbrach ihn. Die Tür wurde aufgerissen, eine Stimme rief hastig: »Kommt schnell alle rauf, es gibt was Feines zu essen!«
    Da war kein Halten mehr. Wie toll drängten sie durch das enge Loch hinaus. Wir schauten uns verblüfft an. »Da hat een ’n Sack Kartoffeln geklaut«, Hein wischte sich matt den Schweiß aus dem Gesicht, »un schon schießt dat büschen Solidaritätsgefühl kopp heister.« Langsam folgten wir.
    Oben sah sich die Sache aber doch ganz anders an. Aus den Gängen und Treppen im Halbdunkel stürzten und stolperten Menschen übereinander her, als ob es brennte, schrien und heulten. Manche sangen laut Hosiannah und Halleluja, während sie andere niedertrampelten. Der Wahnsinn hatte eine neue Methode gefunden. Als es uns mit den anderen hinausgeschwemmt hatte, blendete uns grelles Licht, das wie ein breiter Scheinwerferstrahl vom nächtlichen Himmel fiel. Es schneite in rosafarbenen Flocken, nach denen Männer, Frauen und Kinder haschten. »Manna! Manna!« riefen sie und steckten das Zeug in den Mund. Hein fing sich eins von den schwebenden Kügelchen und kostete es. »Zuckerschaum!« brummte er und spuckte aus.
    Von den benachbarten Wohnburgen rannten sie herbei, die Menge schwoll ins Ungeheure. »Ein Wunder! … das tausendjährige Reich bricht an …« Als hätten sie es herbeigerufen, verdichtete sich der Lichtschein zu einer gewaltig großen Christusgestalt, um deren Kopf bunte Nordlichtfeuer strahlten. Das Leuchtgebil de hob die Hand und sprach mit weithin tönender Stimme:
    »Die Stunde ist gekommen, da euer Heiland euch erlösen wird!
    Wer mir folgt, den führe ich ins Paradies. Da braucht niemand zu werken. Herrliche Speisen und Tränke erwarten ihn. Himmlische Musik wiegt ihn in den Schlaf.
    Kommt, ihr Mühseligen und Beladenen, ich will euch erquicken!«
    Langsam entwich die Erscheinung nach Westen. Die armen

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