Utopolis
Kanonenrohre steckten in seinem Gürtel, aus den Händen sprühten Flammenwerfer, im gebleckten Maul hielt es einen blutigen Dolch. Der Stahlhelm verdeckte die niedrige Stirn, unter der bösartig kleine Augen funkelten.
Diese wüste Denkmalsfigur begann mit versoffen-rauher Stimme zu brüllen, daß sich daneben das Kanonenfeuer wie bescheidener Knallerbsenspektakel anhörte:
»Kam’raden, die Armee hört auf mein Kommando!«
Die Regimenter rotteten sich wieder zusammen. Der kam also nicht als Feind, sondern als Führer. Keinen schrecklicheren Eisenfresser konnte man sich träumen. Einige Fähnlein schrien »Heil!« und schwenkten die Standarten. Die Mehrzahl blieb noch unschlüssig.
»Kam’raden!« donnerte er wieder, »wollt ihr Schießbudenfiguren auf dem Paradefeld sein oder ech te Soldaten, denen nichts über ’ne tüchtige Rammelei und gute Beute geht?«
Jetzt wurde das Geschrei allgemein: »Heil, heil Beu te, große Beute …«
Das Gespenst nickte befriedigt. Es hob den rechten Arm und hielt plötzlich in der Faust eine ungeheure blutrote Fahne mit goldener Sonne im Mittelfeld. »Der Krieg ist erklärt!« schrie es. »Wer die meisten Kreatu ren zur Strecke bringt, wird Feldmarschall, wer sich am besten aufs Plündern versteht, kriegt seinen Ehrenplatz an der Börse!
Regimenter in vierfacher Marschkolonne!
Musik an die Front!
Ich führe selbst!«
Unter brausendem Jubel der Landsknechte ratterten die Tanks, in feurige Wolken gehüllt, über den Platz nach Westen zu, wo eben die Sonne unterging. Die Kolonnen schwenkten ein und marschierten hinter dem gräßlichen Phantom her, rohe Lieder grölend. Die Offiziere aus der Lakaienkaste waren machtlos. In einigem Abstand folgten sie dem Heerhaufen, der sich immer mehr von der Stadt entfernte. Vielleicht glaubten sie, daß ihr oberster Kriegsherr, der doch noch nicht eingetroffen war, sich irgendwo über die Grenze gemacht hätte, wie das gelegentlich in der Geschichte vorgekommen ist. Da wäre denn ein Privatkrieg auf eigene Faust immer noch einer hassenswerten geregelten Beschäftigung vorzuziehen. Daß der Dämon der Schlachten höchst persönlich die Führung übernommen hatte, darüber machten sie sich wahrscheinlich keine besonderen Gedanken, weil sie darin nicht geübt waren. Irgendwie wird Morgon hinter diesem Theater stecken, wird ihrer Meinung gewesen sein, und sie wußten, daß er nicht erst ihre Erlaubnis einholen würde.
Über mir erblickte ich am Himmel, der sich abendlich färbte, eine kleine weiße Wolke, die langsam in der Richtung des marschierenden Heeres davonschwebte. Da ahnte ich, was los war.
Ich lief rasch zurück, überquerte die große Straße und stand bald vor der Wohnburg 267.
Als ich in der Verkleidung des Greises zuletzt die Arbeitersiedlung besucht hatte, waren die hellen, lichten Räume in überladene, stickige Kleinbürgerstuben verwandelt gewesen. Jetzt glichen sie traurigen Massenpferchen in Mietskasernen. In jedem Zimmer hausten acht oder zehn Menschen, die auf Lumpenlagern am Boden schliefen. Stümpfe von Talglichtern scheuchten die äußerste Dunkelheit. Das elektrische Licht hatte man gesperrt.
Früher hatte man die Mahlzeiten, die in den blitzsauberen elektrischen Küchen hergestellt wurden, im Gemeinschaftssaal eingenommen. Jetzt aber mußte jeder seine Nahrung in den Magazinen der Privatverwaltung abholen. Unter der Obhut von Gummiknüppeln stellte man sich stundenlang an. Niemand kannte mehr warme Speisen. Faulende Reste von Lebensmitteln, die schon ungenießbar waren, als man sie bezog, verpesteten die Luft.
Das Band der Gemeinschaft war zerrissen. Die Not umklammerte alle und zwang sie unter das gleiche Joch. Aber jeder grübelte für sich, wie er es abschütteln könnte, an den Nachbarn dachte er nicht.
Ich trat zu einer Gruppe von Männern, die in einem Winkel Karten spielten. Der Einsatz ging um die Hungervorschüsse der Arbeitsverträge.
»Auch gut«, rief einer von den Vieren, ein großer, hübscher Bursche, und schob den anderen den Rest seiner Kontrollkarten hin, »fort mit dem Zuchthaussold, es hat verdammt keinen Zweck, Steine zu karren oder Lumpen zu sortieren. Da bleibt keine Chance. Geld muß ran! Sonst bleibt man ewig ’n Schweinehund!«
»Hm«, brummte sein Gegenüber und versteckte den Gewinn sorgfältig unterm Hemd, »du fängst gleich beim Oberschinder an, Großmaul!«
Der Junge wollte ihm an den Kragen, aber die anderen warfen sich dazwischen, die Partie war noch nicht zu Ende.
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