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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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»Blödsinn«, schrien sie, »hier kann sich jeder seinen eigenen Nagel aussuchen, an dem er am besten hängt, das geht niemanden was an …«
    Aus dem Finstern kroch ein Rattengesicht heran, Spitzel. »Halbpart«, flüsterte er dem Jungen zu, »was hast du vor, Mann?«
    Der Bursche musterte die verschlagene Fratze und schien an ihr Gefallen zu finden. »In den Bergen gibt’s Pelztiere für feine Damen, denke, da wächst ’n Geschäft für flinke Kerls. Kannst du mir ’n Schießeisen verschaffen?«
    Das Rattengesicht pfiff durch die Zähne und zerrte den künftigen Pelzjäger in seinen Winkel.
    Überall die gleichen Projekte: wie wird man schnell und ohne besondere Mühe reich, um dann Herr sein und andere unterdrücken zu können, wie man selbst unterdrückt wurde? Die Verzweiflung trieb abenteuerliche Blüten. Spekulierwut und brutale Rücksichtslo sigkeit, Erfolgmacherei, das hatten sie ihren Vorbildern, den Morgons und wie sie hießen, schon abgeguckt.
    Hier hatte ich nichts zu suchen. Ich tastete mich in die unteren Geschosse.
    Im Kellerdunkel duckten sich die riesigen Kessel der Küche wie Vorwelttiere um mich. Durch leere Speicher hallte mein Schritt und durch die ausgedehnten Baderäume. Hie und da stieß ich gegen Lumpenbündel.
    Man hatte mich wohl genarrt. Ich wollte bereits umkehren, der weite Rückweg mahnte mich, da vernahm ich unter mir dumpfen, leisen Gesang. Ich lauschte … ein Schauer durchfröstelte mich. Nun hat auch mich der Wahnsinn gepackt, dachte ich und war nicht imstande, die Füße zu bewegen.
    Aus der Grabestiefe klang es gedämpft, wie von vielen Menschen gesungen: »… die Internationale – erkämpft – das Menschenrecht …«
    In-ter-na-tio-na-le – erkämpft … ich sank in die Knie und heulte wie ein Kind. Vielleicht fühlte ich erst in diesem Augenblick den entsetzlichen Jammer der letzten Tage bis ins allertiefste. Das Blut schoß mir heiß nach dem Herzen: dort unten, unter mir, sind Genossen, sind Kameraden, die das alte Kampflied nicht vergessen haben! Ich mußte zu ihnen, und sollte ich den Zement mit den Nägeln aufkratzen.
    Ich fand einen Kabelschacht und kletterte in ihm abwärts. Stimmenlärm drang näher. Ich klopfte an die Metallwände. Plötzlich tat sich eine Klappe auf, zwei Arme zogen mich herein, ich stand unter Proletariern, die dichtgedrängt beim Schein einer einzigen Kerze den Worten eines Mannes lauschten, den ich nicht erkennen konnte.
    »Blödsinn ist das, was euch da die Pfaffen von den roten Teufeln vorerzählen. Begreift ihr denn das nicht? Man macht euch dumm, damit ihr ohne Murren für die Reichen schanzt. Eure Söhne haben sie in Uniformen gesteckt, damit sie sich für was Besseres halten als ihr, und euch totschießen, wenn ihr den Gehorsam verweigert. Rechtlos seid ihr, Maschinenfutter. Wenn einem von den Luxusweibern das Schoßhündchen verreckt, dann heult es drei Tage. Aber wenn hundert Proleten krepieren, weil man ihnen keine Zeit läßt, sich in Si cherheit zu bringen bei den verdammten Sprengungen – dann heißt es: »Recht so, wieder hundert von diesen Dreckteufeln weniger!« – He, versteht ihr das?«
    Ein Alter vor mir rief: »Der Kaiser soll uns Recht verschaffen!«
    Da fluchte der unsichtbare Sprecher vorn: »Dunnerslag!« auf Deutsch und dann auf Utopisch: »Ihr seid unverbesserliche Esel …!«
    »Hein!« rief ich und warf mich mit so viel Ungestüm gegen die Menschenmauer, daß man mir unwillkürlich eine Gasse machte.
    Und wir lagen uns in den Armen, lange unfähig, ein Wort zu sprechen.
    Es war ganz still um uns. Dann sagte Hein mit einem Anflug seines alten Humors, ein Schluchzen hinunterwürgend: »Bist du’s sülbst, Korl, oder hast du man bloß din’ Geist up Reisen geschickt?«
    »Ich bin’s leibhaftig«, bekräftigte ich und schüttelte ihm beide Hände.
    Er war mager geworden, blaß, seine Augen lagen in tiefen Höhlen. Aber das Feuer der Aufopferung brann te in ihnen.
    »Mensch«, sagte er, »es ist so verdammt schwer. Sie haben alles vergessen. Man muß ganz von vorne anfangen. Aber sie merken wenigstens, daß es ihnen an den Kragen gehen soll. Und nun kommen sie zu mir. Seit zwei Tagen sitze ich hier zwischen Wasserröhren und Kabelleitungen und muß auf die dümmsten Fragen antworten. Und bin doch gewiß kein Redner. Wenigstens habe ich ihnen die Internationale eingepaukt, wenn sie sich auch nicht viel dabei denken. Aber ’s ist doch was Gemeinsames. Bis ich sie so weit habe, daß sie begreifen, was ’ne

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