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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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Menschen folgten ihr jubelnd und verzückt. Das Paradies konnte wahrlich nicht mehr weit sein. Leise Musik klang aus der Höhe. Von Zeit zu Zeit sprach die Erlösergestalt und winkte den Verzauberten.
    Unabsehbar wälzte sich der Volkshaufe an uns vorbei. Bald standen wir allein. Das Phantom schwebte schon klein und vergehend am Horizont.
    Hein fluchte ingrimmig, seine ganze Mühe war dahin. »Wenn ick dat Aas zu fassen kriege, dat diesen neuen Klamauk ausklabüsert hat! …« und er schwang ein unsichtbares Tauende durch die Luft … »Dann mußt du Joll an die Kehle fahren«, unterbrach ich ihn. »Das hier und der wilde Eisenfresser, der die Soldaten entführt hat, sind seine Erfindungen, um die kranken Genossen aus dem Zerstörungsbereich der Fernlenker zu locken. Mit roten Fahnen und Aufrufen zur Internationale hätte er sie keinen Schritt weit aus dem Bau getrieben.«
    Nicht alle waren auf den frommen Schwindel hereingefallen. In kleineren Gruppen standen sie beieinander, schauten finster dem Spuk nach und verbargen ihre Verlegenheit hinter groben Witzen. Ganz geheuer war ihnen die Sache nicht, aber der Zweifel überwand die Furcht. Etwas bäumte sich in ihnen auf gegen das Widernatürliche, ein Funke von Vernunft glomm. In diesem Augenblick hätte ich ihnen allerdings lieber ein schwärmerisches Sektierergemüt, als männlichen Höllen- und Himmelstrotz gewünscht.
    Und doch hatte Joll auch an sie gedacht. Dieser Einfall übertraf die anderen an genialer Schlichtheit. Es passierte nämlich nichts weiter, als daß plötzlich ein Flüsterton in der Luft lag. Woher es kam, ahnte niemand. Der Nebenmann konnte es leise in den Wind gesprochen haben, es war aber auch wiederum so deutlich, daß es alle zugleich hörten. Diese Stimme um uns raunte: »Der schwarze Butan hat in den Lankibergen eine Goldader gefunden …« Butan ist ein Name in Utopien wie bei uns Richard oder Heinrich. Es gab Tausende von »schwarzen Butans«. Aber jeder kannte im Nu den »richtigen«. »Gold! Gold!« das lief von Mund zu Mund. »Der schwarze Butan – verfluchter Hund, hätte ihm nicht zugetraut – in den Lankibergen höchstens sechs Stunden zu Fuß, wenn man die Bac ken zusammenkneift – halt’s Maul, braucht nicht jeder zu wissen, wo die Kieselsteine gelb sind –« Sie verschwanden wie Diebe in den Häusern, rafften, was sie fanden, an sich, Schaufeln, Hacken, Hämmer, und rannten in kleinen Trupps, als gelte es ihr Leben, in die Nacht hinein, nach Westen, den Bergen zu, in derselben Richtung, in der die Massen dem »Erlöser« gefolgt waren.
    »Da kann ick ja nu stempeln geihn«, meinte Hein verdrießlich. Wimmern eines Säuglings und besch wichtigende Worte einer Frau waren die einzigen Laute, die noch aus dem toten Gebäude drangen.
    Ich riet Hein, den Auswanderern nachzusetzen und sie, soweit es in seinen Kräften stünde, an der vorzeitigen Rückkehr zu hindern. Wie lange Jolls Ablenkungsmanöver einwirken würden, war doch sehr ungewiß. Das leuchtete ihm ein. Wir drückten uns die Hände (wohl zum letzten Male, dachte jeder vom anderen) und trennten uns, ohne unnütze Worte zu machen.
     
    Für mich war es höchste Zeit, ich wechselte zwischen Dauerlauf und schnellem Schritt. Hunger und Aufregung machten mich schwach, ich knickte in den Knien ein. Warum lief ich eigentlich in die Stadt zurück, was ging mich Morgon an? Ich hörte Rauschen und Surren hinter mir und bildete mir ein, es wären Jolls Flugschiffe, rannte quer über die Straße und wollte mich in den Graben schmeißen. Es waren aber nur zwei Autos, die heranjagten, mich in ihren Scheinwerfern fingen und fast übern Haufen stießen. Sie bremsten scharf und hielten neben mir.
    »He, Sie, Mann!« rief man mich an. Ich wollte nicht auffallen und trat an den ersten Wagen. Eine Stimme fragte ziemlich kläglich: »Sagen Sie mal, das Paradefeld liegt doch hier draußen, nicht wahr?« Das war Bobs Stimme. Er saß klein, verängstigt im Gehäuse seiner imposanten Uniform. Das gab mir wieder Mut.
    »Jawoll, Herr Offizier«, sagte ich forsch. »Hier ist auch die Parade gewesen, heute am ganzen Tag. Aber nun sind die Truppen abmarschiert. Durch die Stadt …«
    »Durch die Stadt? Ist doch gar nicht möglich!«
    »Nu, ich hab sie doch mit eigenen Augen marschie ren sehn. Es war ’ne helle Freude. Kann Ihnen den Weg zeigen.«
    »So, so. Sie wissen den Weg? Setzen Sie sich doch neben den Schofför und zeigen Sie uns, wie die Truppen gezogen sind.«
    »Mit Vergnügen, Herr

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