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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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riesige Scheinwerferstrahlen gegen den Himmel und erleuchteten die Dunstschicht der dünnen Wolkende cke. Über dem Zentralhaus der Genossenschaft brannte eine riesige rote Fackel, deren Schein über die ganze Stadt flog.
    Dieses gewaltige Wahrzeichen leuchtete noch in meine Träume hinein.
     
    Am nächsten Morgen waren wir uns selbst überlassen. Nachdem wir im Lehrschlaf unsere Kenntnisse mühelos erweitert hatten, burrirrlelten wir durch die Hafenanlagen, die Hein fachmännisch und höchst anerkennend beurteilte. »Dat is allens wunderscheun«, meinte er, »aber wat fehlt, dat sind lütte Kneipen, wo man sich von ’t Zukieken erholen kann.«
    Als wir einigen schmucken Mädels begegneten, lud er sie zu einem kleinen Amüsemang ein, aber sie lachten bloß und gingen weiter. Er kaute kräftige Worte zwischen den Zähnen, die zum Glück niemand verstand. Seine Laune war überhaupt nicht die beste. »Wir hatten im Genossenschaftshaus um Arbeit angesprochen. Das hat Zeit, Jungens, hatte man uns gesagt, ruht euch aus, schaut euch im Land um. Die Genossenschaft sorgt für alles, was ihr braucht. Ihr könnt auch Privatgeld kriegen, wenn ihr mal den Pfeffersäcken einen Besuch abstatten wollt. Nur bitten wir euch, ihre Schnapsdestillen zu meiden … Werdet schon selbst darauf kommen, daß man den Goldonkels am besten aus dem Wege bleibt, sie gehören in eine andere Welt, die uns nichts angeht.«
    Hein hatte draußen gebrummt, umsonst, auf Staatskosten lebten nur die feinen Leute, er würde lieber ’ne tüchtige Heuer verdienen und alles mit einem Mal auf den Kopp hau’n und so was wie St. Pauli hätte er hier noch nicht bemerkt und Vorschriften ließe er sich schon gar nicht machen. Wir hatten uns deshalb ein bißchen verzankt.
    So gingen wir nebeneinander her, ohne eben viel zu reden, und kamen in ein anderes Stadtviertel, das unregelmäßig gebaut und europäisch war. Ich wollte umkehren, hier begann die Siedlung der Privaten, und das kannte ich. Aber Hein pfiff sich eins und wurde mun ter. Vor einem niedrigen Laden, durch dessen Scheiben ein Bartisch mit Flaschen in allen Formen und Farben schimmerte, blieb er wie hypnotisiert stehn.
    Ich ahnte das Verhängnis. Weder gute noch böse Worte halfen. Hein schob mich energisch beiseite, stieß die Tür auf, trat wuchtig ein und forderte einen »Drink«. Der Bürger hinter dem Bartisch verstand nicht und geriet sichtlich in Verlegenheit.
    Kurz entschlossen ergriff Hein eine der Flaschen und tat einen kräftigen, prüfenden Schluck. »Gut!« sagte er zufrieden und trank weiter.
    Der Bürger erhob Zetergeschrei. Von der Straße lie fen Genossen und Private herbei. Die Arbeiter waren starr vor Staunen, dann versuchte einer Hein die Flasche vom Mund zu reißen.
    Ha, da kam Leben in die Bude.
    Hein begann sich wohlzufühlen. Er zerschmiß mit der leeren Bottel ein Fenster, streifte sich im Nu die Ärmel auf und ging wie ein wütender Bulle auf die Leute los. Er boxte, als wollte er die Weltmeisterschaft gewinnen. Stühle flogen, Haarbüschel sausten durch die Finger. Einige Gehröcke wurden verstaucht. Or denssterne klirrten über den Boden.
    Allein die Männer von Utopia waren stärker, als der brave Hein gerechnet hatte, und bald lag er reglos in der Schraube von acht festen Fäusten.
    Jetzt stecken sie uns ins Loch, dachte ich. Der schö ne Traum hat ein Ende.
    Sie schleppten Hein, der nur mit den Augen gefährlich rollen konnte, in die Zentrale. Ein älterer Genosse hörte ihren Bericht. Hein, jetzt freigegeben, stand halb trotzig, halb verlegen vor ihm.
    Der Utopier schaute ihn lange ruhig an, sagte dann: »Armer Kerl, du hast deinen Lebtag noch nie eine sorgenlose Stunde gehabt, kannst mit dir selber nicht umgehen, wenn dich mal keiner hetzt, mußt die Freiheit des Proletariers erst lernen.«
    Hein senkte beschämt den Kopf.
    »Willst du mit den Fischern auf See?«
    »Topp«, sagte Hein und schüttelte dem Alten kräftig die Hand, »’n Kerl wie ich taugt nicht zum Spazierengehn.« Die Genossen lächelten.
     
6
     
    Hein hatte nun seinen Dienst, blieb tagelang auf See. Wenn er zurückkam, brachte er frische Salzluft und gute Laune mit. Seine Kameraden gefielen ihm, waren derbe, fröhliche Gesellen. Er vergaß seine Rauflust, packte nur zu, wenn es praktische Arbeit galt.
    Ich dagegen beherzigte den Rat der Genossen, mir die Einrichtungen ihres Landes anzuschauen, bevor ich eine Tätigkeit wählen wollte.
    Zunächst fuhr ich hinaus in die Kindersiedlung. Sie umfaßte

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