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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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eigene Ansicht.
    Als ich ein halbwüchsiger Bursche war, kam manchmal der Hermann von Doktors aus dem ersten Stock zu uns runter in die Kellerwohnung. Ich mußte ihm auf Vaters Hobelbank ein Gestell für seine Steinsammlung oder was ähnliches zusammenpfuschen. Er saß dann neben mir, paßte auf, wie ich Vaters Hobel stumpf schob, und schimpfte sich mal gehörig aus. »Was du auf dem Gymnasium lernst, Karl«, belehrte er mich mit fuchtelnden Armen, »das ist alles Quatsch. Vater sagt’s auch. Aber wenn du mal ’n Rechtsanwalt werden willst, so wie mein Alter einer ist, da mußt du dich eben durchpauken. Mit den Sprachen … na ja, das gehört eben zur Bildung, weißt du, damit kannste Eindruck schinden. Aber die Mathese, das ist der größte Bockmist, den es auf der Welt gibt.« Er kritzelte mir mit dem breiten Zimmermannsblei allerlei Buchstaben, Klammern und spitze Tüten auf ein frisch abgezogenes Brettchen und fragte mich, ob ich mir was dabei denken könne? Ich gab ihm recht. »Klar, Hermann, das ist Bockmist«, sagte ich aus innerster Überzeugung und freute mich, daß ihn diese deutliche Zustimmung tröstete.
    Der Genosse Ingenieur, der wöchentlich einige Male in die Jugendsiedlung kam, um die theoretisch-praktischen Diskussionen zu leiten, belehrte mich eines anderen.
    »Von den praktischen Forderungen der Technik her«, sagte er, »die jeden von uns beschäftigen, weil sie ein Element unserer Freiheit sind, dringen wir zu den Grundbegriffen der Chemie und Physik vor. Dazu gehört vor allem Mathematik. Sie stellt die Verbindung dort wieder her, wo unvollkommene Einsicht das Naturwirken in zwei Hälften geteilt hat.
    Hast du einmal durchdacht, Karl, wie wichtig es für die Arbeiterschaft ist, die Technik unseres Zeitalters mit allen, auch den theoretischen Voraussetzungen, zu beherrschen? Sie ist das Nervensystem des Gemeinschaftskörpers. Durch sie leben wir alle in der gleichen Gegenwart. Bei euch aber leben die Menschen nur äußerlich im gleichen Augenblick. Ihr Denken spaltet sie in viele Jahrhunderte. Leibeigenschaft, Gespensterfurcht und Aberglaube verdunkeln noch viele Köpfe, Raffgier, Herrschsucht und Landsknechtsroheit nehmen andere für gutes Recht. Gewiß finden sich auch freiere Geister, die über den persönlichen Vorteil hinausdenken. Die halten sich dann für einzigartig, einsam und gehen an der Hochmutskrankheit zugrunde.
    Selbst in der organisierten Arbeiterschaft sind genug, die sich für viel gescheiter halten als die anderen und nur so tun, als wollten sie sich’s nicht merken lassen. Wenn ein solcher Führer wird, nicht wahr, ist er auch schon ein kleiner Alleinherrscher, der Respekt und guten Glauben verlangt. … Der gute Glaube ist der Tod des Sozialismus, so hat uns Joll gelehrt.
    Wie die Erde und die Welt eingerichtet ist, welche Kräfte sie uns schenkt, damit der Körper nicht mehr ermüden muß, wo ihn die Maschine ersetzen kann, das geht jeden von uns an. Wir lernen es in unseren Ju gendgemeinschaften fast im Spiel.«
    »Ihr lernt es, weil niemand euch dazu zwingt«, sagte ich. Mir war, als spiegelten sich in dem klaren Gesicht des Mannes eigene Gedanken, zu denen ich früher keinen Mut gehabt hatte. Jana, die zugehört hatte, sprach sie für mich aus: »Die Freiheit, die alle bindet, duldet keinen Zwang, da hast du recht. Aber jeder, der in ihr aufwächst, will ihren Raum erweitern und dient so dem Gemeinsamen.«
    Mit Jana kam ich in diesen Tagen nicht über herzliche Kameradschaft hinaus. Ich wagte nicht, ein ernstes Wort zu sprechen, denn ich fühlte, daß meine Begriffe vom Zusammenleben – auch in der Liebe – wahrscheinlich immer noch zu europäisch waren, um recht verstanden zu werden.
     
8
     
    Ich ertrug die stille Reinheit des Kinderparadieses nicht langer und zog wieder in die Stadt zurück, in der Absicht, meinen Liebeskummer in Vergnügungen oder Arbeit zu ersticken.
    Im Quartier traf ich Hein, der einige Tage Urlaub hatte, denn der Bedarf an Fischen war gedeckt und man fing nicht mehr, als man brauchte.
    Der große Kerl fiel mir um den Hals und freute sich mächtig, mich wiederzusehen. Er merkte gleich, daß bei mir etwas nicht stimmte. Ich verschwieg ihm mannhaft mein Leid und ärgerte mich, als er ahnungsvoll durch die Zähne pfiff.
    »Mensch, du hängst ja die Flügel wie ’n angeschossener Enterich«, meinte er. »Komm, heute abend wollen wir mal ’n ordentliches Ding drehn. Soll doch mit ’m Deibel zugehen, wenn’s hier nich so was wie St. Pauli und

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