Utopolis
Stuhl. Dort dauerte es zwar länger, dafür aber entschädigte das Schauspiel der Qualen. Richter und Staats-Gouverneure unterhielten sich dabei vorzüglich. »Wie gefährlich diese Kerle sind«, witzelten sie, »das geht allein schon daraus hervor, daß man ihnen nichts nachweisen kann.« Die Kröte ächzte schaurig Beifall. »Kein Verbrechen geht über Unschuld und Glauben an die Menschheit«, hüstelte sie, »deshalb hab’ ich den Jesus von Nazareth geschluckt, der ein Narr war wie diese.«
Trat ein Bischof herzu, drehte die Augen gen Himmel und greinte salbungsvoll: »Im Namen der heiligen christlichen Kirche, liebe Kröte, bitte ich dich, in diesem einen Falle etwas zurückhaltender in deinen sonst stets so treffenden Bemerkungen zu sein.« Die Kröte tätschelte ihm die fetten Wangen. »Nette Jungens seid ihr«, kreischte sie, »ganz nach meinem Sinn. Am allerbesten mag ich die Feldprediger leiden.«
Aber plötzlich blies sie sich auf, ihr Körper schwitz te Gold aus, und sie schrie: »Da, nehmt, das sind Dividenden, Zehente, Kopfsteuern, das ist Beute aus mörderischen Kriegen, das sind ungezählte Arbeitsstunden, die ihr mit Kupfer lohntet und die Gold brachten, nehmt, denn ihr habt mich gut bedient bisher.«
Die Herren balgten sich und rauften um den kostba ren Schweiß der Kröte, den sie aus dem Blut der Ar men herausgesogen hatte. Danach sanken sie vor ihr in die Knie, beteten sie an und gelobten, ihr die Opfer zu verdoppeln.
Da hörte ich neben mir eine wirkliche Menschen stimme und schreckte aus dem grauenvollen Halb traum empor: »Wir wohnen ganz angenehm, nicht wahr, junger Mann? Hätten sich noch besser umsehen sollen …«
Ich wandte mich entsetzt zur Seite. Diese greisenhaft weinerliche Stimme kannte ich. Neben mir stand der alte Morgon. Er stützte sich auf einen elfenbeinernen Krückstock. Sein ganzer, spinnendürrer Körper zitterte. Die eine Hand, mehr einer Vogelkralle ähnlich, streckte sich langsam nach mir aus. Sein Totenschädel wackelte und mahlte mit den Kiefern, als wolle er mich zerreißen. In den grünschwarzen Augenlöchern glommen gespenstisch schillernde Pupillen.
Mit einem Schrei sprang ich empor und stürzte mich auf die gräßliche Erscheinung. Stürzte ins Nichts, schlug haltlos auf den achatenen Boden. In der Ferne, wie hinter Wänden, hörte ich ein glucksendes, kindisches Kichern.
Das Licht erlosch. Mir war, als sänke ich in einen finsteren Schacht. Dann war lange alles aus. Ein brennender Schmerz auf der Wange weckte mich, ich öffnete die Augen – und saß auf einem Stuhl im Sitzungsraum des Präsidiums.
Meine Hände waren gefesselt. Vor mir stand der Mann mit Monokel, den ich im Café beleidigt hatte. Er schüttelte seine Hand im Gelenk. Die Ohrfeige, die er mir zu meiner Ermunterung versetzt hatte, schmerzte ihn noch.
Er verbeugte sich wie ein Artist vor dem versammelten Präsidium, wies auf mich und sagte schnarrend:
»Habe die Ehre, Ihnen Europa-Karl, alias Graf Zak, alias Kriegsminister von Starkström vorzustellen.«
33
Die zwölf Männer, die am Beratungstisch saßen, hatten die Masken abgelegt. Vor mir brauchten sie sich nicht mehr zu verstecken. Ich war in ihren Augen ein toter Mann. Sie kümmerten sich daher auch wenig um mich. Andere Dinge beschäftigten sie dringender.
Morgon sagte kurz zu dem Monokelmann, der mich bewachte: »Lassen sie den Kerl vorläufig hier, Wells, er kann uns vielleicht Auskünfte geben.«
Wells beugte sich zu mir, schlug mir freundschaftlich seine Faust unter die Nase und flüsterte: »Hatte dich ’ne Zeitlang aus den Augen verloren. Auf die Sache mit dem Kriegsminister bin ich erst nachträglich gekommen. Was du dir aber heute geleistet hast – hier im Hause –, das war blutiger Dilettantismus. Hätte dir bessere Arbeit zugetraut.« Zur Bekräftigung seiner Meinung stieß er mich mit dem Knie in die Seite.
Ich schwieg.
Am Beratungstisch war man erregt.
Ein älterer Mann mit hagerem, verkniffenen Gesicht und glattrasiertem Schädel führte die Opposition gegen Morgon.
»Die Sache dauert viel zu lange«, meinte er in hochfahrendem Ton. »Warum haben Sie die Leute nicht schon seit zwei Tagen in die Industriebezirke abgeschickt? Sie fressen uns hier die Töpfe leer und wir sehen keine Leistung. Das faule Leben bringt den Pö bel höchstens zur Besinnung. Habe überdies schon gehört, daß bereits wieder Wühler an der Arbeit sind.«
Ein anderer ergänzte: »Wir haben den ganzen Tag vertrödelt, um diesem
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