Utopolis
Mindestens mußte es einen Zugang zum Dach geben, das, wie überall in Utopien, als Flugzeuglandeplatz diente. Ich lauschte. Über mir hörte ich ein feines, helles Summen, wie es Apparate aussenden, in denen hochgespannte elektri sche Ströme wirken. Da oben, davon war ich überzeugt, hatten sie den Strahler montiert. Kurz vorm Ziel!
Vorsichtig beklopfte ich die Wände aus gemaserten Elfenbeinplatten. Sie hörten sich nirgends hohl an. Als ich aber, fast aus Versehen, eine kleine goldene Zunge berührte, schoben sie sich lautlos auseinander. Vor mir lag ein prachtvoll eingerichteter Wohnraum. Durch offene Gänge sah ich weitere Gemächer. Taghell war es, obwohl keine Lampen leuchteten. Fenster fehlten, dennoch atmete ich frische, kühle Luft.
Der Schritt verlor sich in schweren Teppichen. An silbernen Wänden kostbare Webereien mit eingewirkten Götterbildern, vielleicht aus China. Wenige, aber mit herrlichen Stoffen überspannte und edelsteinverzierte Möbel.
Angesichts dieser schwellenden Lager und Kissen, wie aus einem Märchen aus tausend und einer Nacht herbeigezaubert, fühlte ich, wie todmüde ich war. Soll te ich mir fünf Minuten Ruhe gönnen? Ein sanftgeschwungener Diwan in gelber Seide, über die ein silberner Reiherflug gestickt war, dehnte sich mir behaglich entgegen … Ich riß mich zusammen. Los! Eine Treppe, ein Durchschlupfloch suchen!
Zimmerfluchten durchstreifte ich, ohne zu bedenken, daß man mich beobachten könnte. Was lag schließlich daran? Das Haus hatte mich gefangen, ich würde mit ihm zugrunde gehen, wie die Genossen im Turm zugrunde gehen mußten. Diese Gewißheit machte mich furchtlos.
Wo ich goldene Zungen bemerkte, berührte ich sie, in der Hoffnung, einen geheimnisvollen Mechanismus in Bewegung zu setzen, der mir plötzlich einen besonderen Fahrstuhl oder eine Treppe öffnen würde. Nichts, nichts fand sich. Wände glitten auseinander. Der Nachthimmel schaute herein. Über die Aussichtsterrasse blickte ich herab auf die Stadt. Sie lag im Dunkeln. Hoch über ihr flammte rot die Lichtsäule des Turms. Sie leuchtete hastende Wolken an, die – wie ertappt – aus der purpurnen Helligkeit flohen. Da blitz te es dicht beim Turm auf. Glühende Eisenteile sprangen wie Raketen hoch. Donner krachte scharf und kurz zusammen.
Sie sprengten bereits unter den zerschmolzenen Brücken. Die nächste oder übernächste Explosion mußte das Fundament des Turmes unterhalb des Energiepanzers angreifen.
Vom Rand der Terrasse aus blickte ich am Hause empor. Da oben saß, wie ich vermutet hatte, noch ein mächtiger Stahlwürfel. Keine Leiter führte zu ihm empor. Und wenn ich mich schon durch übereinandergetürmte Möbel hatte hinaufschwingen können, durch seine Panzerwände drang ich niemals.
Ich schloß wieder die Schiebewand und suchte vergeblich weiter.
Meine Verzweiflung wuchs. Ich wünschte mir einen Menschen. Irgendeinen Lakaien oder Wächter, der sich mir in den Weg stellte. Ich hätte mit ihm kämpfen und ihm das Geheimnis mit Gewalt entreißen können. Aber ich bewegte mich in einem prächtigen Grabgewölbe.
In einer Stunde, rechnete ich, würden Jolls Fernlenker Utopolis erreicht haben. Bestimmt waren sie schon gestartet. Sie stürmten schon durch die Nacht.
Ich hatte den ganzen Wohntrakt in fieberhafter Eile durchstöbert, alle Behänge von den Wänden geschoben, um nach verborgenen Türen oder Mechaniken zu forschen, die Möbel verrückt und alle Schiebewände spielen lassen. Jetzt wußte ich keinen Rat mehr.
Ich stützte mich auf eine grüne Marmorsäule und überlegte.
Da schwand plötzlich der Boden unter mir. Das Zimmer sauste nach oben, während ich fiel. Im gleichen Moment empfand ich einen dämpfenden Stoß und stand im nächsttieferen Stockwerk.
Die Öffnung, durch die ich abgesunken war, schien von Zauberhand geschlossen worden zu sein.
Ich grübelte nicht lange. Fest stand: ich war entdeckt. Man trieb ein Katz- und Mausspiel mit mir und wollte sich an meinen Ängsten weiden. Diesen Spaß gönnte ich den Leuten mit der schwarzen Maske nicht. Mochten sie mir ihren ganzen Teufelsspuk auf den Hals hetzen, einen feigen, um Gnade winselnden Proleten sollten sie in mir vergeblich erwarten. An Flucht zu denken oder nach dem Strahler weiterzusuchen, erübrigte sich. Ich kannte die Morgons. Diesmal waren sie ihrer Mittel sicher.
Um jeden Zweifel eines Zufalls zu verscheuchen, drückte ich eine der goldenen Zungen. Keine Wand verschob sich mehr. Ich hatte meine letzte Station
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