V wie Viktor
bin mir mehr als sicher! Ich liebe dich und ich will bei dir sein!«
Panik stieg in mir hoch. Er würde mich doch nicht wegschicken.
»Engel, vielleicht brauchst du ein wenig Zeit für dich. Du kannst natürlich hierbleiben, aber ich werde dich eine Weile alleine lassen. Raphael und ich haben sowieso noch etwas Wichtiges zu erledigen. Andrew wird bei euch bleiben, bei dir und Lin, zu eurem Schutz.«
Meine Augen füllten sich mit Tränen.
»Na. Nicht doch.«
Zärtlich streichelte er mir übers Haar.
»Nicht weinen. Ich komme wieder, das verspreche ich. Und es wird dir guttun, glaub mir.«
Obwohl ich den Kopf schüttelte, wusste ich, dass er recht hatte. Unsere Verabschiedung fiel entsprechend gedämpft aus, seinem Kuss fehlte etwas. Mir war hundeelend zumute. Gerade hatte ich mich auf dem Bett ausgestreckt und hing meinen trüben Gedanken nach, als es klopfte. Nach allem, was geschehen war, war ich nicht mehr so leichtsinnig, einfach zu öffnen.
»Wer ist da?«, fragte ich durch die geschlossene Tür.
»Ich bin es, Lin. Hast du ein bisschen Zeit für mich?«
Schnell machte ich auf und zog sie ins Zimmer.
»Natürlich. Immer. Setz dich.«
Sie ließ sich in den Sessel fallen und seufzte. Sofort drängte sich mir das Bild eines aus dem Nest gefallenen Vögelchens auf, so klein und verloren wirkte sie. Sie berichtete, dass sie mit Raphael gesprochen hatte und er ihr sehr vieles hatte erklären können. Aber richtig verstanden hatte sie es noch nicht. Deshalb zog es sie automatisch zu mir, der menschlichen Frau, die in der gleichen Lage war wie sie. Andrew hatte sie seither noch nicht gesehen, er hatte sich wohl nicht nach oben gewagt. Wir redeten und redeten. Nach und nach gewann sie wieder etwas Farbe und Leben zurück. Zwischendurch wurden wir nur von Darius und Johanna unterbrochen, die uns wieder mal vorm Verhungern retteten. Als die beiden sich verabschiedeten, war ich kurz irritiert, meine Nackenhaare stellten sich auf. Irgendwas an dieser Situation war seltsam, aber ich kam nicht darauf, was es war. Da Lin aber wieder meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, vergaß ich es recht schnell wieder. Nach einer weiteren Stunde begann Lin zu gähnen und ich merkte, wie schwer meine Augenlider geworden waren.
»Wir sollten doch versuchen, noch etwas zu schlafen. Du bist genauso müde wie ich.«
Sie sah mich verlegen an.
»Was ist denn Liebes?«
»Kann ich hier bleiben?«
Sie flüsterte es nur.
»Aber sicher. Ich bin froh, dass du das fragst. Ich will auch nicht allein sein.«
Erleichtert hüpfte sie in das große Bett und kroch unter die Decke. Ich legte mich daneben, sie kuschelte sich fest an mich und brummelte: »Wenigstens riechen wir beide wieder gut.« Obwohl mir nicht danach war, musste ich lachen und nahm sie fest in die Arme. In der kurzen Zeit, die wir uns kannten, waren sie mir so nahe gekommen, wie schon lange keine Frau mehr. Es dauerte keine zwei Minuten und ihr leises Schnarchen drang an mein Ohr. Bei mir wollte sich trotz meiner Müdigkeit kein Schlaf einstellen. So lag ich eine ganze Weile wach, lauschte ihrem gleichmäßigen Atem und versuchte das Gedankenkarussell in meinem Kopf anzuhalten. Es gelang mir nicht. Auch das Stillliegen fiel mir schwer, also befreite ich mich vorsichtig aus Lins Umarmung, schlüpfte leise aus dem Bett, zog mich an und schlich aus dem Zimmer.
11.
Unten brannten nur das Kaminfeuer und eine kleine Stehlampe, es war niemand da. Der Blick auf die Uhr zeigte fast halb sechs, es war nur noch eine knappe Stunde bis Sonnenaufgang. Unschlüssig stand ich mitten im Raum, als eine Stimme aus einer Ecke des Sofas sagte: »Wenn du magst, setz dich zu mir.«
Andrew. Er saß so im Schatten verborgen, dass ich ihn nicht bemerkt hatte. Lächelnd nahm ich neben ihm Platz.
»Sehr gerne. Wie geht's dir?«
Er zuckte die Schultern, lächelte etwas kläglich zurück.
»Ich weiß nicht. Ich hab sie noch nicht gesehen. Du?«
»Lin? Ja, sie liegt oben in meinem Bett und schnarcht.«
Er lachte leise.
»Oh ja, das kann sie gut. Ich habe mich immer gewundert, wie eine so kleine Person so laut schnarchen kann. Und wie geht es ihr?«
Er sah mich erwartungsvoll an.
»Ach Andrew … Wie soll es ihr gehen? Sie ist völlig durcheinander, das war alles zu viel. Zuerst die Entführung, dann die Sache mit euch …«
Er nickte nur, starrte auf seine Hände.
»Sie ist eine sehr tapfere kleine Frau, deine Lin. Und eine Kämpferin, sie schafft das schon.«
Er blickte auf,
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