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Vaclav und Lena

Vaclav und Lena

Titel: Vaclav und Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haley Tanner
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einen Nachmittag ein Bett und ein Zimmer und eine Decke samt Kissen hätten. Er spürt, wie diese Dinge Feuer in ihm fangen, wenn er sie küsst, darum liebt er dieses Küssen mehr als alles andere. Wenn er Ryan küsst, nimmt er alle seine Gedanken an diese erträumten Dinge und legt sie in den Kuss. Er atmet durch die Nase und haucht sie ihr ein, mit seiner Zunge zeigt er ihr die Wildheit und Feuchte und Intensität dieser Dinge. Wenn er Ryan küsst, sind all diese Dinge im Kuss enthalten.
    Ryan ist anders. Ryan möchte, dass das Küssen nur eine Station auf dem Weg zu all den anderen Dingen ist. Vaclav weiß es, denn sie hat es ihm gesagt, und er weiß es auch, weil sie beim Küssen nicht glücklich wirkt, sie wirkt verzweifelt, und ihr Körper presst sich zu heftig an ihn, und sie atmet zu heftig, und ihre Finger graben sich ein bisschen zu tief in seine Haut ein, und sie zieht ihn mit zu viel Kraft an sich. Dabei hat Vaclav dasselbe |168| Gefühl wie in der U-Bahn , wenn sie übervoll ist und jeder zu nah beim anderen steht. Er kann es nicht erwarten, dass die Türen sich öffnen, um tief einzuatmen und seine langen Schritte ungehindert aufzunehmen, mit den Armen zu schlenkern, wohin auch immer zu gehen.
    Sie gehen einen Häuserblock, bleiben stehen und küssen sich, gehen einen Block weiter, bleiben stehen und küssen sich und beeilen sich ein bisschen, denn Rasia weiß ja, dass man nicht dreißig Minuten braucht, um zwei Blocks zu gehen, und dass der Q-Zug in der Rushhour alle acht Minuten fährt. Sobald sie an der U-Bahn -Station sind und auf den Q-Zug warten, der Ryan entführen wird, küssen sie sich heftiger und heftiger, weil die Uhr tickt und die Lichter des Zugs jeden Augenblick auftauchen und die Gleise Funken sprühen werden, und ihnen ist bewusst, dass die Zeit fast abgelaufen ist.
    Ryan macht einen Schritt nach vorn und presst ihren Körper an Vaclavs Körper, nur ein klein wenig, und Vaclav weicht nur ein klein wenig zurück. Aber sie macht wieder einen Schritt nach vorn und drückt sich mit überraschender Aggression an ihn, ihre Brüste drängen sich an ihn, und er weicht zurück, und sie tritt vor, bis sein Rücken an die Wand stößt und er nicht mehr weiter zurückweichen kann. Und dort auf dem Bahnsteig presst Ryan sich heftiger und heftiger an ihn, und er hat das Gefühl einer Vor- und Zurückbewegung zwischen ihnen wie Herzklopfen oder ein- und ablaufende Wellen, und er weiß nicht recht, ob sie beide sich überhaupt bewegen oder ob sie gemeinsam dieses Gefühl einer Bewegung erzeugen, und dann kommt der Zug, schiebt einen Schwall kalter Luft vor sich her und trennt sie voneinander.
    |169| Ryan umarmt Vaclav, steigt in den Zug und winkt, während die Türen sich schließen. Er schaut zu, wie der Zug losfährt, schaut zu, wie er sich durch Gebäude und Plakatwände und Baumwipfel davonschlängelt. Er steht auf dem erhöhten Bahnsteig der U-Bahn , genau über den Dächern von Brighton Beach, und kann in die Hinterhöfe der Häuser sehen, die sich am Abhang der U-Bahn -Trasse behaupten, und in diesen Häusern lieben Familien sich in Russisch und Tschechisch und Spanisch, während sie Fernsehnachrichten gucken, und in diesen Häusern kochen die Mütter Kohlrouladen und
pollo
und Rahmspinat, und sie haben den Backofen auf 375   Grad Fahrenheit eingestellt, um in nur dreißig Minuten tiefgefrorenem Apfelkuchen vom Supermarkt den Geruch eines wahrhaft amerikanischen Zuhauses zu entlocken, und der Wind vom Atlantik, das Einzige zwischen dem Hier und Dort, zwischen Damals und Heute, dem Neuen und dem Alten, weht den Muschelsaftgeruch von Coney Island in die Fenster.
    Lenas Geschichte
    Während Vaclav die Treppe von der hochgelegenen U-Bahn -Station zur Straße hinuntersteigt, gesteht er sich ein, dass er nicht mehr von Ryan will. Ein klein wenig, nur ein klein wenig, ist er froh, dass sie weg ist. Sie haben genügend Zeit miteinander verbracht, und es ist gut für sie, nach Hause zu gehen. |170| Kann er ihr das sagen? Nein, das kann er nicht. Er möchte nicht mehr Zeit mit ihr verbringen. Er möchte sich nicht noch mehr auf ihren Körper einlassen. Sie möchte mehr, mehr Zeit, mehr Sich-Einlassen, mehr Verflechten ihrer beider Ichs. Er geht schneller. Er vergräbt die Hände in seinen Hosentaschen. Will ich weniger Ryan, weil sie mehr Vaclav will? Wessen Gefühle waren zuerst da? Haben die Gefühle irgendetwas miteinander zu tun? Vielleicht würde ich in jedem Fall das wollen, was ich will, und sie

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