Vaclav und Lena
auf den Boden, aber seine Fäuste sind geballt, und an seinem Hals schwellen Adern an, die zu stark arbeiten, zu viel Blut transportieren. Er hebt die Hände ein wenig, doch nichts passiert. Er nimmt die Hände wieder an seine Seiten zurück, und sein Gesicht zeigt eine große Verunsicherung. Dann atmet er so tief ein wie nie zuvor und hebt seine Hände nur ein bisschen, nur wenige Zentimeter von den Körperseiten, und auf einmal bewegt er sich langsam nach oben, seine Hände bewegen sich nach oben und sein Kopf und seine Füße, ja, seine Füße schweben wenige Zentimeter über dem Boden.
Rasia hält den Atem an und wirft den Arm vor Ryans Brust, ein Reflex, den sie seit Vaclavs Geburt hat. Wann immer sie überrascht wird, breitet sie wie bei abruptem Bremsen den Arm aus, um das Kind neben sich zu beschützen. Das erschreckt Ryan, und Ryan gibt einen kleinen Schrei von sich, bricht in Kichern aus und lacht dann über sich selbst. Und mit einem Mal landet Vaclav mit einem kleinen uneleganten Platsch auf beiden Füßen, und er scheint einen Augenblick lang sein Gleichgewicht zu suchen, zurück auf der Erde, nachdem er der Schwerkraft getrotzt hat und sich, wenn auch bloß fünf Zentimeter, freischwebend in der Atmosphäre befunden hatte.
|160| »Wie machst du das? Was ist das? Was hast du gemacht?« Rasia klingt böse, aber sie ist es nicht, überhaupt nicht. Ryan klatscht laut, sie ist so beeindruckt, so stolz. Ryan weiß genau, wie dieser Trick funktioniert. Sie hat Vaclav beim Einstudieren geholfen, hat ihm geholfen, den Winkel gut hinzukriegen, ihm geholfen, herauszufinden, wie man den Fuß, auf dem man steht, hinter dem vorgeschobenen Fuß auf dem Boden verbirgt, und sie hat geduldig zugeschaut, wie er es immer und immer wieder geprobt hat, bis sein Körper es beherrschte.
Was ist für Ryan so wundervoll an diesem Trick, den sie schon so oft gesehen hat? Es ist Vaclavs Darbietung, seine überzeugende Darbietung, das Theatralische, das tiefe Einatmen, die Selbstversenkung, das weder mit ihr eingeübt noch abgesprochen ist. Er macht das alles instinktiv, und er beherrscht das alles so verblüffend gut, dass sie sich völlig sicher ist, eines Tages wird er bestimmt ein sehr berühmter Zauberer sein.
Ryan sitzt auf dem Bett und ist mächtig stolz, dass sie die Freundin ist von jemandem, der so geschickt und gut aussehend ist und der irgendwann in der Zukunft in etwas umwerfend Einzigartigem umwerfend erfolgreich sein wird.
Vaclav ignoriert den Applaus und die Fragen und verbeugt sich tief.
»Sie sind ein reizendes Publikum gewesen, wirklich, wahrhaft reizend, und ich sage das ganz selten. Vielen Dank. Ohne euch bin ich nichts.« Hier verbeugt er sich noch tiefer, und der Applaus wird stärker. »Ich tue das alles für euch – für meine Fans.«
Er verbeugt sich ein letztes Mal, womit Rasia und Ryan klar ist, dass die Darbietung vorüber und anstelle von Vaclav dem Zauberer der normale Vaclav vor ihnen steht.
|161| »Das war fantastisch! Das war fantastisch! Wann wirst du das vorführen?«, fragt Ryan.
»Ich könnte für die Welt bereit sein, aber ist die Welt bereit für Vaclav den Großartigen?«, sagt Vaclav, und Ryan strahlt.
Ryan lächelt Vaclav kokett zu, und Rasia denkt wieder unschöne Dinge über das Mädchen, das zu dünn ist, so als würde die Mutter ihm nichts zu essen geben, eine Mutter, der es zu lästig war, zum Hörer zu greifen und Rasia anzurufen, und sie denkt, dass das Mädchen vielleicht jeden Nachmittag nach der Schule Sex hat oder nackte Sachen mit ihrem kleinen Jungen auf ebendiesem Bett treibt.
Rasia denkt, dass sie unbedingt mit Vaclav über die Dinge sprechen will, über intime Dinge, und sie hat ein schlechtes Gefühl dabei, weil sie sich schon oftmals auf unterschiedlichste Weise vorgenommen hat, mit ihm zu reden, und sie hat es noch nicht geschafft. Heute im Büro hatte Pamela aus der Buchhaltung gesagt, sie brauche ja mit dem »Rein und Raus« nicht ins Detail zu gehen. Pamela riet Rasia, nur einige Regeln aufzustellen, sodass Vaclav und sie sich sicher sein können, einander zu verstehen. Pamela sagte, dass sie ihrem Sohn eigentlich nur eine Sache eingetrichtert hat: »Ob ich zu Hause bin oder nicht, du hast mein Haus zu respektieren: Tür offen und Füße auf dem Boden. Und wenn du’s auf dem Parkplatz hinter dem K-Mart treibst, zieh dir ’ne Tüte über.« Jeder hatte darüber gelacht, aber Rasia hatte den Witz nicht verstanden, und sie war zu verlegen gewesen, um zu
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