Vaclav und Lena
ist so furchtbar. Bist du in der Lage, dich selbst anzuziehen? Das glaube ich nicht. Einfach schrecklich, oh, ich fühle mit dir, ganz schrecklich. Ein Jammer.«
Mrs. Yoblokov schaffte es, dass man sich noch schlechter fühlte. Sie schaffte es, dass man sich in diesem neuen Land mit seinen Gefahren und Geheimnissen umso mehr ängstigte. Und sie schaffte es, dass man sich auch in Bezug auf das Land, das man hinter sich gelassen hatte, schlechter fühlte, jenes Land, das man wie einen prügelnden Gatten vermisste, bei dem man aber zumindest jede Nacht wusste, was auf einen zukam.
»Schau sie an. Was tut sie da auf dem Teppich? Vielleicht ist sie behindert«, sagte Mrs. Yoblokov, und Lena begann zuzuhören, denn man sprach über sie.
»Wer weiß. Wer weiß, was für Drogen ihre Mutter genommen hat. Oder der Vater! Wer weiß.« Lena wusste nicht, was Drogen waren. Das Wort »Drogen« verwirrte sie. Sie hatte nämlich russische Plakate gesehen, die davor warnten, Drogen zu nehmen, und Bilder von Menschen zeigten, die den Verstand verloren hatten, verrückt oder schwerkrank waren oder Sachen stahlen. An den Illustrationen konnte man sehen, dass diese Menschen böse waren. Drogen waren also etwas für böse Menschen.
Und doch gingen sie und Radoslava Dvorakovskaya oft zur Drogerie, und Radoslava Dvorakovskaya kaufte Sachen dort, und der Mann verkaufte sie ihr. Keiner von beiden, weder der Mann noch Radoslava Dvorakovskaya, schien so böse zu sein wie die Menschen auf den Plakaten. Vielleicht war es in Ordnung, Drogen zu nehmen, wenn man alt war, aber nicht, wenn |205| man jung wie Lena war. Das ergab einen Sinn. Lenas Mutter hatte Drogen genommen, was falsch war, weil sie jung war.
»So jung!«, klagte Radoslava Dvorakovskaya. »Einfach so Babys in die Welt setzen! Furchtbar. Und ohne Heirat. Kein Wunder.« Und so geriet Lena in Verwirrung, was ihre Mutter anging, die ein Baby hatte, Drogen nahm, nicht verheiratet und jetzt weg war. War sie tot? Lena wusste es nicht. Sie wagte nicht, danach zu fragen.
»Lena! Unser Tee ist kalt. Mach mal neuen Tee. Und diesmal nicht so stark. Ich bin schwach, und mein Herz darf nicht rasen.«
»Ja, Babuschka«, sagte Lena. Lena hatte Radoslava immer Babuschka, Großmutter, genannt. Es war der einzige Name, den Lena für sie hatte, obwohl sie nicht glaubte, dass Radoslava die wirkliche Mutter ihrer eigenen Mutter war. Wenn das der Fall gewesen wäre, dann hätte sie bestimmt nicht auf diese Weise über Lenas Mutter geredet.
»Wie ein streunender Hund, sie ist wie ein streunender Hund aufgewachsen. Wen überrascht es, dass sie Häuser besetzt und in diesem Land von Schwachsinnigen diese Schwachsinnige da zur Welt bringt und sich dann davonmacht? Yelena! Mein Tee ist kalt. Es ist das Mindeste, was du tun kannst, oder?« Lena holte den Tee und dachte: Oh, ich bin eine Schwachsinnige. Die Frage ist, was ist eine Schwachsinnige? Meine Mutter ist der streunende Hund, der sich davongemacht hat. Wie kann das ein Land von Schwachsinnigen sein? Diese Frau, dachte Lena wieder, ist nicht die Mutter meiner Mutter, sonst würde sie nicht sagen, dass meine Mutter wie ein streunender Hund aufgewachsen ist.
|206| Die vierjährige Lena war sehr gut im Teekochen für ihre Babuschka. Sie zog einen Stuhl vom Tisch und schob ihn an den Gasherd, wo sie den Teekessel nahm, ihn mit Wasser füllte, ihn auf den verkrusteten Brenner stellte, das Feuer anmachte, sich auf den Stuhl setzte und auf das Pfeifen wartete. Schwierig war das Ausgießen, denn der Kessel war schwer, und oft platschte das erste Wasser aus der gekippten Tülle gegen ihr Schienbein oder spritzte auf ihre Zehen.
Lena brachte den Damen ihren Tee, und die kamen dadurch wieder auf das Mädchen zu sprechen.
»Wo ist die Mutter? Wo ist der Vater? Gibt es denn keine andere Familie? Es sollte wirklich jemand anderes auf sie achtgeben, du kannst ja nicht mal drei Blocks zum Lebensmittelhändler gehen … ein Jammer.«
Für Mrs. Yoblokov war es eine Genugtuung, dass Radoslava anscheinend nicht die drei Blocks zum Lebensmittelhändler gehen konnte.
»Mutter und Vater sind weg. Entweder tot, oder sie sind wieder zurückgegangen. Wenn sie hier wären, würden sie mir die Tür einrennen, Geld verlangen, das Telefon benutzen wollen, würden ein Bad nehmen, auf meiner Couch schlafen, gerade so, als würde ich im Überfluss leben und hätte obendrein noch was zu verschenken!« Mrs. Yoblokov akzeptierte diese Erklärung, denn sie lieferte
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