Vaclav und Lena
Bad und lauschte noch einmal. Die Dusche lief immer noch. Seltsam, gewöhnlich ging das warme Wasser bald aus, und wenn Lena badete, stand Radoslava Dvorakovskaya immer vor der Tür und schrie, sie solle nicht das ganze warme Wasser aufbrauchen. Als Lena das Rauschen hörte, war das zu viel für sie. Sie watschelte zur Küche, wobei schon etwas Urin tröpfelte. Sie nahm sich eine Schüssel herunter und stellte sie auf den Linoleumboden unter dem Küchentisch, sodass Radoslava Dvorakovskaya Lena nicht gleich sehen würde, wenn sie aus dem Bad käme.
|210| Lena hockte sich über die Schüssel und pinkelte, und obwohl es eine große Rührschüssel war, hüpften einige Tropfen auf den Boden. Als Lena sich zurechtsetzte, um genauer zu treffen, wurde es nur schlimmer. Nachdem Lena fertig war, fühlte sie sich kaum wohler, denn da waren die Schüssel voll warmen Pipis und der mit Pipi bekleckerte Boden und die Möglichkeit, dass sie ertappt würde. Was würde Radoslava sagen, wenn sie herausfände, dass Lena in eine Rührschüssel Pipi gemacht hatte? Sie würde jedem erzählen, was für ein seltsames, verdrehtes und böses Kind Lena war. Schnell zog sich Lena deshalb einen Stuhl an das Abwaschbecken, hob die Schüssel hoch, die doch voller war, als sie gedacht hatte, und versuchte, auf den Stuhl zu steigen, ohne etwas von dem Urin zu verschütten.
Lena hievte ein Bein auf den Stuhl, dann das zweite, aber als sie sich aufrichtete, schwankte sie ein klein wenig, und das Pipi schwappte aus der Schüssel oberhalb des Bauches auf die Vorderseite ihres Schlafanzugs. Doch wie erklärt man einen Urinfleck auf dem Bauch, aus dem gar kein Urin kommt?
Den restlichen Urin wurde sie im Abwaschbecken los und spülte mit Wasser nach. Dann feuchtete sie einen Schwamm mit Spülmittel an und wischte überall die Tröpfchen weg und betupfte die Vorderseite ihres Schlafanzugs. Sie fand, dass das jetzt besser war, denn so konnte sie Radoslava Dvorakovskaya sagen, sie habe Wasser verschüttet. Sie konnte sogar sagen, dass sie das Wasser beim Teemachen verschüttet hatte. Lena entschied sich, alles aufzuräumen und danach Tee zu machen. Dann musste sie nicht so viel lügen. Die Dusche lief immer noch. Selbst wenn gleich Schluss wäre, würde viel Zeit bleiben, denn Radoslava Dvorakovskaya brauchte für gewöhnlich lange, |211| um aus der Dusche zu kommen, sich zu pudern und ihre Zähne einzusetzen.
Doch warum duschte Radoslava Dvorakovskaya immer noch? Lena hatte Angst anzuklopfen.
Jetzt war alles sauber, und Lenas Schlafanzug war am Bauch nur noch leicht feucht. Der Teekessel auf dem Herd wurde heiß, und das Wasser begann zu sieden. Lena nahm sich ihre Sachen von dem kleinen Kleiderstapel neben der Schlafcouch und zog sich an. Danach setzte sie sich wieder vor den Fernseher und schaute sich in der Wohnung um. Alles war sauber und trocken, es gab keinen Hinweis darauf, dass die Pinkel-Schüssel je im Einsatz gewesen war. Es gab nicht einmal einen Hinweis darauf, dass Putzlappen benutzt worden waren, um etwas aufzuwischen. Aber warum war Radoslava noch immer unter der Dusche?
Im Fernsehen lief eine weitere Folge der
Sesamstraße
. Lena versuchte, die Buchstaben des Alphabets zu lernen und die Zahlen von Graf Zahl. Drei flatternde Fledermäuse. Ah-ah-ah-ah-ah. Was sollten die Laute, die der Graf machte? Das war sein Lachen. Was sind das für Dinge, die da so schwarz flattern? Das konnte Lena nicht herausbekommen.
Als die
Sesamstraße
zu Ende war, war Radoslava Dvorakovskaya wirklich schon viel zu lang unter der Dusche. Seitdem sie aufgewacht war, schätzte Lena, waren vier Sendungen gelaufen, und das war eine sehr lange Zeit für Radoslava zum Duschen. Lena hatte Hunger. Es war viel zu viel Zeit vergangen. Lena dachte darüber nach, was sie tun sollte. Sie könnte an die Badezimmertür klopfen, falls etwas wirklich nicht in Ordnung war. Das war kein guter Plan, weil Radoslava wütend werden würde, wenn Lena sie beim Duschen unterbräche. Lena guckte einen |212| Werbespot über eine Puppe, die so groß wie ein richtiges Mädchen war und mit der man sich an den Händen halten und kuscheln konnte, während man zusammen im Bett lag.
Lena stand auf und ging zum Bad. Sie presste das Gesicht an die Tür und passte auf, dass die Tür in ihrem Rahmen kein Geräusch machte, denn dann würde Radoslava Dvorakovskaya wissen, dass sie lauschte, und würde böse werden. Lena hörte kein Geräusch außer dem Wasser, das aus der Dusche lief. Dann hob sie
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