Vaeter und Soehne
sie ihm einen raschen Blick zu, nahm eine ernsthafte Miene an und errötete. Darauf die ersten schüchternen Besuche, die halben Worte und das halbe Lächeln, die Stunden des Zweifels und der Betrübnis, und wieder das Entzücken der Leidenschaft, und endlich die Trunkenheit des Glücks … Was war aus all dem geworden? Wohl war er später in der Ehe so glücklich gewesen wie möglich … »Aber doch«, mußte er sich sagen, »gleicht nichts jenen ersten süßen Augenblicken der Glückseligkeit; ach, warum können sie nicht ewig dauern und nur mit dem Leben erlöschen!«
Er versuchte es nicht, diese Gedanken weiter zu verfolgen; aber jene glückliche Zeit hätte er festhalten mögen durch eine mächtigere Kraft als das Gedächtnis; er hätte wieder an der Seite seiner geliebten Marie sein, ihre weiche Wange streicheln, ihren warmen Atem fühlen mögen, und schon schien es ihm, als ob über seinem Haupte …
»Nikolaus Petrowitsch,« fragte dicht neben dem Gebüsch Fenitschka, »wo sind Sie?«
Er erbebte. Nicht als ob er ein Gefühl von Reue oder Scham empfunden hätte … Es war ihm nie eingefallen, den mindesten Vergleich zwischen seiner Frau und Fenitschka anzustellen; aber es schmerzte ihn, daß diese ihn in diesem Augenblick überraschte. Ihre Stimme rief ihm augenblicklich seine grauen Haare, sein frühzeitiges Alter, seine gegenwärtige Lage ins Gedächtnis zurück … Die feenhafte Welt, in deren Räume er sich aufgeschwungen, diese Welt, die sich bereits auf den verschwommenen Nebeln der Vergangenheit abhob, erblaßte und verschwand.
»Hier bin ich,« antwortete er; »ich komme gleich; geh nur.« – »Das,« sagte er sich fast im gleichen Moment, »sind wieder die Herrengewohnheiten, deren ich soeben noch gedachte.«
Fenitschka warf einen Blick in das Gebüsch und entfernte sich still. Jetzt erst bemerkte er zu seinem großen Erstaunen, daß die Nacht ihn in seinen Träumereien überrascht hatte. Rings um ihn her wars dunkel und still, und Fenitschkas Antlitz war ihm in den wenigen Sekunden, da sie vor der Laube erschien, so bleich und zart vorgekommen. Er stand auf, um in sein Zimmer zu gehen; aber sein gerührtes Herz hatte sich noch nicht wieder beruhigt, und er ging langsam im Garten auf und ab, die Augen bald niedergeschlagen, bald zum Himmel erhoben, der schon voller Sterne glühte. Lange, fast bis zur Ermüdung, war er so gegangen, und doch wollten sich Aufregung und Unruhe in seiner Brust nicht legen. Wie hätte sich Bazaroff über ihn lustig gemacht, wenn er von diesem Zustand Kenntnis gehabt hätte! Arkad sogar hätte ihn getadelt. Seine Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, mit Tränen, die ohne Grund quollen; für einen Vierziger, einen Hausherrn und Ökonomen war das noch tausendmal schlimmer als Violoncellspielen. Kirsanoff setzte seinen Spaziergang fort und konnte sich nicht entschließen, in sein friedliches Nest zu gehen, in das Haus, das mit seinen erleuchteten Fenstern so freundlich einlud; er fühlte den Mut nicht, den Garten und die Dunkelheit zu verlassen, der frischen Luft, die ihm die Stirne kühlte, dieser Trauer, dieser Aufregung zu entsagen …
Da trat ihm Paul bei einer Wendung des Weges entgegen.
»Was hast du denn?« fragte ihn dieser; »du siehst bleich aus wie ein Gespenst. Bist du krank? Du tätest wohl daran, zu Bett zu gehen.«
Kirsanoff erklärte ihm mit einigen Worten seine Empfindungen und ging ins Haus. Paul lief bis ans Ende des Gartens; auch er fing an, nachzudenken und die Augen zum Himmel aufzuschlagen. Aber seine schönen Augen spiegelten nur den Sternenschein wider. Er war kein Romantiker, und die Träumerei paßte nicht zu seinem leidenschaftlichen Wesen; er war ein prosaischer Mensch, wenn auch zärtlichen Gefühlen nicht unzugänglich, ein Menschenfeind französischer Art.
»Höre!« sagte am gleichen Abend Bazaroff zu seinem Freund, »ich habe einen prächtigen Einfall. Dein Vater sagte uns heute, daß er von dem großen Hans, eurem Vetter, eine Einladung erhalten habe. Er will nicht hingehen; wie wärs, wenn wir eine Tour nach X… machten? Du bist in die Einladung dieses Herrn mitinbegriffen. Du siehst, was hier für ein Wind weht; die Reise wird uns gut tun, wir sehen die Stadt. Es kostet uns höchstens fünf oder sechs Tage.«
»Und du kehrst mit mir hierher zurück?«
»Nein, ich muß zu meinem Vater. Du weißt, daß er höchstens 20 Werst von X… entfernt wohnt. Ich hab sie lange nicht gesehen, ihn und meine Mutter; ich muß ihnen die
Weitere Kostenlose Bücher