Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vaeter und Soehne

Vaeter und Soehne

Titel: Vaeter und Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivan Sergejevich Turgenev
Vom Netzwerk:
bist gar zu bescheiden und gutmütig,« antwortete Paul; »ich bin im Gegenteil überzeugt, daß wir viel mehr im Rechte sind als alle diese jungen Herren, wenn auch unsere Sprache vielleicht ein wenig veraltet ist, und wenn wir auch ihre Selbstüberschätzung nicht besitzen … Dabei sind sie so affektiert. Fragt man sie bei Tische: ›Wollen Sie roten oder weißen Wein?‹ so geben sie zur Antwort: ›Es ist Grundsatz bei mir, Rot vorzuziehen,‹ und das mit einer Baßstimme und einer so lächerlich wichtigen Miene, als ob die ganze Welt auf sie blicke …«
    »Wünschen Sie keinen Tee mehr?« fragte Fenitschka durch die halbgeöffnete Türe; sie hatte Anstand genommen, während des Streits den Salon zu betreten.
    »Nein, du kannst den Samowar wegnehmen,« erwiderte Kirsanoff, stand auf und ging vor ihr hinaus. Paul sagte ihr kurz guten Abend und suchte sein Zimmer auf.

Elftes Kapitel.

    Eine halbe Stunde später trat Kirsanoff in den Garten und lenkte seine Schritte nach seinem Lieblingsboskett. Traurige Gedanken bedrängten ihn. Zum ersten Male hatte er die Kluft ermessen, die ihn von seinem Sohne trennte; ihm ahnte, daß sie sich mit jedem Tage erweitern werde. Umsonst also hatte er in Petersburg zwei Winter hindurch ganze Nächte mit der Lektüre der neuen Werke verbracht; umsonst hatte er den Unterhaltungen der jungen Leute aufmerksam gelauscht; der Eifer, mit dem er sich in ihre lebhaften Erörterungen gemischt hatte, war unnütz gewesen. »Mein Bruder behauptet, daß wir recht haben,« dachte er, und, alle Eigenliebe beiseite, scheint mirs selber auch, daß sie der Wahrheit ferner sind als wir. Und doch fühle ich, daß sie etwas haben, was wir nicht haben, eine gewisse Überlegenheit … Ist das die Jugend? Nein, sie ist es nicht allein. Sollte diese Überlegenheit nicht darin bestehen, daß ihnen weniger als uns die Herrengewohnheiten aufgeprägt sind?
    »Aber die Poesie verachten?« sprach er bald nachher zu sich, »nichts für die Kunst, nichts für die Natur fühlen? …«
    Er blickte ringsumher, als ob er zu begreifen suchte, wie’s möglich sei, die Natur nicht zu lieben … Der Tag neigte sich rasch zu Ende. Die Sonne hatte sich hinter einem Espenwäldchen versteckt, das, auf einer halben Werst vom Garten entfernt, einen endlosen Schatten über die stillen Felder warf. Ein Bauer trabte auf einem Schimmel den schmalen Pfad am Waldsaum entlang; obgleich er im Schatten war, zeigte sich doch seine ganze Gestalt deutlich dem Blick, und man konnte sogar einen Flicken auf der Achsel seines Rocks unterscheiden; die Füße des Pferdes bewegten sich mit einer dem Auge wohltuenden Regelmäßigkeit und Zierlichkeit. Die Sonnenstrahlen drangen durch Busch und Baum und färbten die Espenstämme mit einem warmen Ton, der ihnen den Anschein von Tannenstämmen gab, während sich über den bläulichen Blättern der blasse, von der Abenddämmerung leicht gerötete Himmel wölbte. Die Schwalben flogen sehr hoch, der Wind hatte sich fast ganz gelegt; verspätete Bienen summten schwach und halbverschlafen in den Blüten des Fliedergebüsches, und ein Mückenschwarm tanzte über einem einzeln in die Luft ragenden Zweige. »Mein Gott, wie schön!« dachte Kirsanoff, und Verse, die er vor sich hin zu sagen liebte, wollten ihm über die Lippen treten, als er an Arkad und an »Kraft und Stoff« dachte und – schwieg. Doch blieb er sitzen und überließ sich dem süßen, traurigen Genuß einsamen Träumens. Das Landleben hatte ihm Geschmack dafür beigebracht; es war noch nicht lange her, als er wie heute im Hof jenes Wirtshauses saß und seinen Sohn erwartete, aber welch eine Veränderung war seitdem vor sich gegangen! Sein damals noch ungewisses Verhältnis zu Arkad war jetzt bestimmt ausgesprochen … und wie? Das Bild seiner verstorbenen Frau trat ihm vor die Seele, nicht wie er sie in den letzten Jahren gekannt hatte, nicht als die gute, heitere, freundliche Hausfrau, sondern als junges, schlankes Mädchen mit schuldlosem, fragendem Blick, das Haar in dichten Flechten über dem kindlichen Nacken, mit einem Wort so, wie er sie zum ersten Male sah, zu der Zeit, da er die Vorlesungen an der Universität besuchte. Als er ihr auf der Treppe des Hauses, das er damals bewohnte, begegnete, stieß er sie aus Versehen an und entschuldigte sich in seiner Verlegenheit mit den Worten: »Verzeihen Sie, mein Herr!« Sie senkte das Köpfchen, lächelte und fing, wie plötzlich erschreckt, zu laufen an; auf dem Treppenabsatz aber warf

Weitere Kostenlose Bücher