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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Warrington
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antwortete Rosie: »Einen jungen Mann, Lucas. Meinen Bruder.«
    »Unseren Bruder«, sagte Sam über ihre Schulter hinweg.
    »Wir glauben, er ist diesen Weg gekommen … um zum …«
    »Um zum Ursprung zu gelangen«, ergänzte die Ricke.
    »Ich – ja, vermutlich«, sagte Rosie. »Sein Körper auf Erden lebt noch und er ist noch nicht bereit zu sterben. Er muss zurückkommen. Hast du …« Sie zuckte hilflos die Schultern, »… ihn gesehen?«
    Vor ihren Augen verwandelte sich die Ricke. Sie erhob sich auf ihre Hinterläufe und wurde eine hübsche junge Frau, eingehüllt in einen bodenlangen Mantel aus demselben cremefarbenen, getupften Fell. Sie hatte ein herzförmiges Gesicht, haselnussbraune Augen und rehbraunes Haar.
    »Tochter Elysiums«, begrüßte die Rickendame sie. »Sohn des ehemaligen Torhüters. Ich kenne euch. Und Lucas – auch er einer, der Wege öffnet. Er ist hier.«
    Als sie diese Worte hörte, spürte Rosie, wie ihr Herz wild zu klopfen anfing, Schweiß tropfte ihr in den Nacken, Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sams Finger gruben sich in ihren Arm und hielten sie aufrecht. »Er muss zurückkommen, bevor es zu spät ist.«
    Das herzförmige Gesicht war gefasst. »Wenn er das möchte. Wir wollen ihn nur ungern verlieren.«
    »Bitte.« Es kostete sie all ihre Kraft, ruhig zu bleiben. »Es bleibt uns womöglich nicht mehr viel Zeit. Kann ich ihn sehen?«
    Das Rickenmädchen antwortete nicht gleich. »Es wird nicht leicht sein. Aber versuchen kannst du es natürlich. Folge mir über die Frostbrücke. Dahinter ist Asru, das Reich des Geistes.«
    Sie nahm wieder Rickengestalt an und führte sie über die Brücke aus gesponnenem Glas. Rosie erblickte sanfte Hügel und Schluchten, Bäume, die sich in ihrer knorrigen Schönheit an den Fels klammerten. Sam war so still hinter ihr, dass sie zurückblickte, um sich zu vergewissern, dass er noch da war. Seine Augen waren starr geradeaus gerichtet. Er sagte: »Keine Sorge, wenn ich falle, wirst du mich schreien hören.«
    Hell vom Mondlicht und von den Sternen beschienen sah sie kunstvolle Dächer, emailliert in den Farben des Eisvogels. Als die Brücke sich am anderen Ende absenkte, verlor sich jegliche Aussicht hinter dem Blattwerk eines Gartens. Der Pfad führte auf Trittsteinen weiter über eine von Heckenrosen und Trauerweiden gesäumte Wiese.
    Die Ricke, die nun wieder menschliche Gestalt angenommen hatte, führte sie über die letzten paar Biegungen des Pfads. Sam ging neben Rosie. Sie spürte die Wärme seines um sie gelegten Arms und seinen kurzen Seufzer, als er ihr nasses Haar küsste; seine Erleichterung, wieder auf festem Boden zu sein.
    Im Zentrum des Gartens stand ein Tempel, der die Größe von Oakholme hatte. Er hatte keine Wände, nur ein azurblau gefliestes Dach, getragen von pfauenblauen Säulen. Innen schimmerte ein weiches grünes Licht. Die Rickendame führte sie über die Schwelle in einen kühlen, luftigen Raum mit einem Boden aus blattgrünem Marmor und Säulen, die sich wie stilisierte Bäume einem Himmelsgewölbe entgegenstreckten. Dieser Raum dehnte sich endlos aus und bildete einen breiten Kreuzgang, der in sanfter Neigung nach unten und im Kreis um sich herumführte. Wie ein Widerhall der verschiedenen Reiche änderten sich die Farben, während sie seinen Windungen folgten. Das Grün der Erde verblasste zu einem frostigen Violett und Weiß, das für die Luft stand, dann folgten Bernstein und Flammenrot für das Feuer, abgelöst von den milchigen Blautönen des Wassers. Symbole waren in die Säulen wie Hieroglyphen eingelegt, viele davon ihr unbekannt, aber sie sah die endlos wiederholte Spirale und berührte die wunde Stelle auf ihren Rippen, das Brandmal, das sie damit verband.
    Die Rickendame führte sie in einen inneren Tempel, einen Kreis aus silbernen Säulen um einen Boden aus Obsidian, der im Durchmesser etwa zwölf Meter maß. Die Decke war ein Nachthimmel, geschmückt mit einer spiralförmigen Sternengalaxie. Die Säulen spiegelten sich im Fußboden wie in einem stillen schwarzen See, und in der Mitte des Bodens war eine runde Vertiefung eingelassen, ein Teich, in dem leuchtende Karpfen aufblitzten. Das Wasser darin schien keinen Grund zu kennen und der Glanz der Fische war hypnotisch.
    Wieder hörte sie Jessica singen: » Findet den Spiegel, in dessen Mitte / Fröhlich vereint, fröhlich getrennt / Küssen wir das Wasser und fliegen / Küssen das Wasser und fliegen …
    »Der Spiegelteich?«, flüsterte Rosie.
    »Nein«,

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