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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Warrington
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den glasigen Schatten und schrie: »Und was euch betrifft, die ihr nicht mal den Mut habt, euch zu zeigen, was bildet ihr euch eigentlich ein, Lawrence’ Urteil zu misstrauen und die Last stattdessen dem armen Luc aufzubürden? Habt ihr überhaupt einen blassen Schimmer von dem, was ihr da tut?«
    »Sam«, warnte Rosie flüsternd.
    Es folgte ein Augenblick schrecklicher hallender Stille. Albin starrte Sam mit einem so eisigen und mitleidslosen Blick an, dass Rosie begriff, warum Lawrence bei diesem Vater zu dem wurde, was er war. Ihre Hoffnungen schwanden.
    Doch die Rickendame lächelte nur und sagte: »Die Entscheidung ist getroffen. Lucas muss die Chance bekommen, zur Erde zurückzukehren. Solltest du jemals dem Court dienen, Albin, dann hast du auch was zu sagen, aber nicht jetzt. Lass uns vorbei.«
    Rosie weinte fast vor Erleichterung. »Wo ist er?«
    »Kommt mit mir.« Die Rickendame winkte ihnen zu und kehrte Albin den Rücken zu.
    Mit versteinerter Miene verfolgte er ihr Weggehen. »Der Court selbst wird diese Vaeth-freundliche Ausrichtung einmal bedauern«, rief er ihnen hinterher. »Es wird euch allen noch mal leidtun!«
    Als Rosie einen Blick zurückwarf, war Albin in den Schatten verschwunden.
    Die Rickendame führte sie zwischen Säulenreihen aus dem Tempel, bis sie die Dunkelheit eines wilden mitternächtlichen Gartens betraten. Ein kühler Wind strich über ihre Haut. Auf dem beidseits von dichtem Gebüsch gesäumten Weg, der vor ihnen lag, konturierte ein rötlicher Schimmer das Gras und die Steine unter ihren Füßen. Rosie holte sich an einem der Sträucher, die allesamt mit Dornen versehen waren, einen Kratzer an der Hand. Es waren Wildrosen, Dornenranken und stachelige Exoten, die sie nicht kannte. Sie war durchnässt und erschöpft und alles tat ihr weh, aber das alles zählte nicht, sofern sie nur Lucas wiedersehen konnte.
    »Deren Auseinandersetzungen gehen mich nichts an«, sagte die Rickendame, die als bleiche Gestalt vor ihnen ging. »Nur Lucas zählt. Er erinnert mich an jemanden, den ich einst geliebt habe.«
    »Das hört sich an, als würdest du ihn nicht fortlassen wollen«, sagte Rosie.
    »Ich werde ihn vermissen, das ist wahr«, kam die traurige Antwort. »Hier sind wir.«
    Wo das Dornengebüsch endete, erstreckte sich eine weite Felslandschaft. Der endlose Nachthimmel vibrierte vom Tosen eines Wasserfalls. Sam und Rosie mussten über Felsen klettern, um dem Rickenmädchen zu folgen, bis sie das Ende des Riffs erreicht hatten und die Schlucht vor sich sahen, die steil in die Schwärze abfiel.
    Es war, als würde man am Rand der Welt stehen. Instinktiv griff Rosie nach Sams Hand. Tränen brannten in ihren Augen. Hier war fester Boden und dort das Nichts. Abgemildert wurde dieser Anblick durch einen feinen Schleier aufsteigenden Dunstes mit einem rot schimmernden Kern.
    Sie trat noch einen Schritt vor. Der Abyssus führte ins Bodenlose. Beim Gedanken, zu fallen, zuckte ein Schreck durch ihre Glieder. Als sie nach oben schaute, sah sie zu ihrer Linken das Astgewirr eines gewaltigen blattlosen Baums, dessen Zweige in ein Netz aus Sternen gehüllt zu sein schienen. Seine dicken Wurzeln gruben sich tief in den Fels und der Stamm ragte über den Abgrund hinaus. Bleiche Flechten überzogen die eisengraue Rinde.
    »Der Weltenbaum«, sagte die Rickendame.
    »Lucas?«, rief Rosie vorsichtig und wurde gleichzeitig von Panik erfasst. Denn während sie seinen Namen rief, sah sie ihn. Hoch oben im Baum hockte eine Gestalt weit draußen auf einem Ast, der über den Abgrund hing. Eine kleine, schlaksige unverkennbare Silhouette.
    »O Gott«, wisperte sie. »Wie lange ist er denn schon dort oben?«
    »Seit er hergekommen ist. Hundert Jahre. Oder so lange, wie man ihn auf Vaeth vermisst«, sagte das Mädchen mit trauriger Miene. »Ich habe ihm Geschichten versprochen, wenn er herunterkommt, aber er tut es nicht.«
    »Was macht er da?«
    »Überlegt, ob er sich hinunterstürzen soll oder nicht.«
    Rosie rannte auf den Baum zu, wobei sie über Wurzeln und Steine stolperte. Sam lief ihr hinterher und rief: »Warte –«
    »Auf Bäume klettern, das kann ich«, sagte sie. Sie berührte den Stamm. Was dort wie Krusten auf den Rändern der Borke saß, waren keine Flechten, sondern Eis. Als sie nach oben griff, um Halt zu finden, hörte sie die warnende Stimme des Rickenmädchens: »Klauen, pass auf die Klauen auf!« – und schon kam aus dem wilden Garten etwas auf sie zugerannt.
    Eine Gestalt wie eine

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