Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Warrington
Vom Netzwerk:
wütend«, sagte sie mit mehr Nachdruck. »Ich habe einen verdammt weiten Weg zurückgelegt, um dich zu finden, und werde nicht mit leeren Händen zurückkehren. Du steckst hier fest, ich stecke hier fest. Das wird für uns beide ziemlich unerfreulich, findest du nicht auch?«
    »Wenn die Tore geschlossen bleiben, werden die Reiche dahinschwinden. Wenn sie geöffnet werden, werden sie zerstört werden. Wie soll ich da eine Entscheidung treffen? Die Verantwortung ist einfach zu groß, Ro. Ich kann es nicht tun.«
    »Dann willst du also lieber sterben?«
    »Ich habe den Schatten gesehen, vor dem Lawrence sich fürchtet.« Sein weicher Ton ließ sie erschaudern. »So, wie es aussieht, können wir gar nichts tun.«
    »Aber es ist sein Schatten, nicht deiner.«
    »Er und ich, wir sind eins.«
    »Nein, das seid ihr nicht. Was willst du, nie wieder Schokolade schmecken oder Mum und Dad und Jon sehen? Nie deine Jungfräulichkeit verlieren?« Er drehte sich um und verzog entrüstet das Gesicht. Sie lächelte. »Ich schwör’s dir, Luc, ich werde mich hier nicht vom Fleck rühren, wenn du es nicht tust.«
    »Wo bin ich?«, fragte er verunsichert.
    »Im Krankenhaus. Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie sehr dich alle lieben?«
    Er drehte den Kopf wieder so, dass er nach unten schauen konnte, und blieb reglos sitzen. Sie schluckte ein paarmal Luft, denn ihr Mund war trocken, wie Naamon, und überlegte: Was kann ich denn noch sagen, was bringt ihn dazu, auf mich zu hören? Da sagte Lucas: »Sieh mal. Da unten. Kannst du es sehen?«
    Wo der Eisnebel dünner wurde, sah sie eine Masse auf der gegenüberliegenden Schluchtwand, mehr als hundert Meter unter ihnen. Es war eine gigantische schwarze Statue, die dort stand, als wäre sie aus dem Basalt der Felswand selbst herausgehauen. Die Form war menschlich und wuchtig, hatte jedoch zugleich etwas Animalisches und Dämonisches. Die Gliedmaßen waren von einer Eiskruste überzogen und Schwaden zogen über ihren gewaltigen Leib wie über die Flanken eines Berges. Der Kopf war undeutlich und düster. Reif betonte die groben geschuppten Züge und die Augen waren zwei leere, durch und durch schwarze Löcher.
    Sie war prächtig und abscheulich zugleich. Der Anblick der Statue, die dort aufragte, als gäbe es sie vom Anbeginn der Zeit, erfüllte sie mit Ehrfurcht. Es fiel nicht schwer, sich vorzustellen, dass sie, wenn sie aufwachte, für das Ende der Welt sorgen würde. »Was ist das?«, murmelte sie.
    »Brawth«, sagte Lucas.
    Während er sprach, drehte die Statue ihren gewaltigen steinernen Kopf und blickte zu ihm hoch. Eine hohle Stimme sagte: » Komm zurück zu uns, Lucas .« Rosie hätte fast geschrien, aber sie brachte keinen Laut heraus. Schon war die Statue wieder fester, gefrorener Fels – aber sie hatte sich bewegt und Lucas gesehen und ihren leeren, starren Blick auf ihn gerichtet.
    »O mein Gott«, hauchte er. Die wachsende Angst in seiner Stimme verriet ihr schließlich, dass er doch noch nicht bereit war zu sterben. »Du lieber Gott, er hat mich gesehen. Wir müssen gehen, Rosie.«
    »Dann komm schon«, bedrängte sie ihn. »Aber nicht so hastig. Sei vorsichtig!«
    Ihr schlug das Herz bis zum Hals, als er sich umwandte und seine Beine über den Ast schwang, bis er sich ganz herumgedreht hatte und sie ansah. Sie wäre vor Erleichterung fast abgestürzt, als er sich langsam auf sie zubewegte. »Warte auf mich«, sagte er.
    »So ist’s gut, ganz langsam.« Sie wollte ihm die Hand reichen, aber ihr Instinkt warnte sie davor, seine ätherische Gestalt zu berühren. Sie drehte sich um und plante bereits den Abstieg, hielt dann aber plötzlich inne. Vor ihr saß die Rickendame in der Höhlung, wo der Ast sich mit dem Stamm verband. Unten kämpfte Sam noch immer gegen die Dornengeschöpfe an. Das in ihren Fellmantel gehüllte Mädchen sah aus wie eine Porzellanprinzessin. »Dürfen wir bitte vorbei?«
    »Ich werde ihn vermissen.«
    Rosie war nicht nach Höflichkeit zumute. »Hast du gesehen, was da unten ist?«
    »Das war schon immer da.« Das Mädchen schien sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Rosie fand ihre puppengleiche Unschuld und ihre Weigerung, die Dringlichkeit anzuerkennen, ruchlos. »Es kann euch nicht verfolgen oder euch Schaden zufügen.«
    »Wie auch immer, wenn Lucas aus Angst davor bereit ist, mit nach Hause zu kommen, will ich mich nicht beschweren! Sag denjenigen, die auch immer dafür verantwortlich sind, sie sollen die Klauenwesen zurückzurufen, und

Weitere Kostenlose Bücher