Vaethyr: Die andere Welt
unsere Absicht, in diesem Jahr den Geist unseres Erbes wieder aufleben zu lassen, zu schätzen wisst.«
Unter den vorne stehenden Elfenwesen kam Unruhe auf. Lawrence sprach weiter: »Wie ihr wisst, war es mir in den vergangenen fünf Jahren nicht möglich, die Tore zu öffnen.«
»Nicht möglich?«, rief eine männliche Stimme. »Nein, wir wissen nur, dass du dich weigertest, sie zu öffnen!«
Rosie erkannte die Stimme als die von Comyn. Sie vernahm das Bedrohliche seiner Wut.
»Und das aus guten Gründen, die ich euch erklären werde, wenn man mir die Gelegenheit dazu gibt.« Lawrence’ Blick wanderte über ihre Köpfe. Rosie duckte sich aus Angst, von ihm entdeckt zu werden. »Es kommt hinter den Großen Toren noch immer zu gefährlichen Turbulenzen. Bis diese abflauen, wage ich es nicht einmal, das Lych-Tor zu öffnen.«
»Du hattest jetzt fünf Jahre Zeit, Lawrence, dir eine bessere Pressemitteilung als diese auszudenken!«, schrie Comyn.
Es folgte zustimmendes Grummeln. Rosie spürte, wie die Spannung im Raum sich zuspitzte. Lawrence’ Mund wurde hart. »Das ist alles, was ich euch mitteilen kann«, sagte er schroff.
»Das reicht aber nicht!«, ertönte Phyllidas Stimme. »Deine Großmutter Liliana hat uns nie mit derartiger Verachtung behandelt!«
»Bitte.« Es war Auberon, Rosie konnte ihn gerade so erkennen, wie er sich der Menge mit ausgebreiteten Armen zuwandte, um sie zu beruhigen. »Lawrence ist zum Torhüter bestimmt worden. Und er würde nicht so handeln, wenn er keine guten Gründe dafür hätte.«
»Du unterstützt ihn noch immer?«, ereiferte sich Comyn. »Weißt du vielleicht etwas, was wir anderen nicht wissen?«
»Nein«, sagte Auberon, »aber ich glaube, dass er die Wahrheit sagt. Zieht keine voreiligen Schlüsse. Habt Geduld.« Seine Worte waren kraftvoll und beruhigend, aber dennoch brodelte der Unmut weiter.
»Ich schwöre bei Lilianas Leben, ich schwöre beim Spiegelteich selbst, dass die Gefahr hinter den Toren echt ist«, sagte Lawrence, dessen Stimme immer abgehackter klang. »Ich tue dies zu eurem Schutz. Die Gefahr ist zu groß.«
»Pfeif doch auf die Gefahr!«, schrie Comyn ihn an. »Lass uns durch, dann werden wir schon damit fertigwerden!«
»Unmöglich«, übertönte Lawrence die lauter werdenden Stimmen. Selbst jene, die sich ganz hinten, in der Nähe von Rosie, aufhielten, meldeten sich jetzt zu Wort.
»Sei vorsichtig, Torhüter«, sagte Comyn mit schneidender Stimme. »Wir haben uns jetzt fünf Jahre lang in Geduld geübt. Gefahr? Und was ist mit der potenziellen Katastrophe, die es für uns bedeutet, wenn die Tore geschlossen bleiben? Wir könnten dich entmachten und die Tore selbst öffnen.«
Auberon wollte wieder das Wort ergreifen, aber Lawrence trat vor und beugte sich wie eine Galionsfigur über Comyn, Phyllida und ihre Unterstützer. »Nein, das könnt ihr nicht«, sagte er. »Die Macht des Torhüters habe nur ich inne, wie sie vor mir Liliana innegehabt hat. Und das wisst ihr. Schadet ihr mir, wird keiner jemals mehr die Tore öffnen, niemals. Ist euer Gedächtnis so kurz? Ich habe das Lych-Tor geöffnet und euch vor die Wahl gestellt: Geht jetzt hindurch oder vertraut mir. Ihr seid nicht gegangen. Es war eure Entscheidung!«
Selbst Comyn schien darauf keine Antwort einzufallen. Widerstrebend mussten die Protestierenden sich geschlagen geben.
»Und jetzt erwarte ich, dass ihr zu eurer Entscheidung steht«, fuhr Lawrence mit nunmehr ruhiger Stimme fort, nachdem seine Autorität wiederhergestellt war. »Ja, in problemlosen Zeiten bin ich euer Torhüter. In schwierigen Zeiten bin ich euer Beschützer. Lasst den Mann oder die Frau, die glauben, es besser zu können, hervortreten und hierherauf kommen, um diese Bürde von mir zu nehmen – wenn es denn jemand kann. Nein? Dann vertraut mir.«
Schweigen. Rosie spürte einen Stimmungswechsel, eine widerwillige Akzeptanz.
»Ihr wisst, dass er recht hat«, sagte Auberon. »Wir wollen nichts mehr sagen, was wir später bereuen müssten. Lasst Ruhe einkehren und uns den Rest des Abends genießen.«
»Bitte«, ergänzte Lawrence und öffnete eine Hand, um auf die Türen zu zeigen. »Esst und trinkt und tanzt. Es ist immerhin die Zeit des friedlichen Miteinanders.«
Dann wandte er sich ab. Es war vorbei.
Als die grummelnden Zuhörer aufzubrechen begannen, wurde Rosie im Strom mitgerissen. Sobald sie wieder im Korridor war, holte die kalte Wirklichkeit sie schlagartig ein. Sie wollte unbedingt mit ihrem Vater
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