Vaethyr: Die andere Welt
Menschen haben kein Gespür dafür. Weißt du, sie berichten, allen möglichen exotischen Quatsch gesehen zu haben, aber nichts Reales .«
»Warum gibst du dich dann mit ihnen ab?«
Er antwortete darauf mit einem schiefen Lächeln. »Ich genieße es, der Guru zu sein. Das macht mich zu was Besonderem. Und man weiß ja nie, vielleicht hat einer von ihnen tatsächlich eine Offenbarung. Aber wir sind anders, Luc. Wir sind Elfenwesen und darauf eingestimmt; es ist bereits in uns vorhanden und wartet nur darauf, in die richtigen Kanäle gelenkt zu werden. Wir können es irgendwann noch mal versuchen, wenn du Lust dazu hast?«
»Hier kommt der Tee.« Sapphire kam fröhlich mit einem Tablett ins Zimmer. Jon erhob sich und legte dabei eine Fingerspitze auf seine Lippen. »Möchtest du sonst noch etwas, Lucas?«
Er lächelte, dankbar für ihre Zuwendung. »Es wäre schön, wenn Sie meine Schwester herholen könnten.«
Rosie schaute auf ihre Uhr. Eine halbe Stunde nach Mitternacht. Mel war mit ihrer neuesten Eroberung verschwunden, Faith in einer Ecke eingeschlafen und Rosie langweilte sich. Es lagen noch ein paar knutschende Pärchen und halbe Schnapsleichen im Raum, niemand, mit dem man sich wirklich hätte unterhalten können. Offenbar ging man davon aus, dass die Gäste über Nacht blieben, aber Rosie wäre lieber nach Hause gegangen. Doch Jessica wäre sicherlich sauer, wenn sie mitten in der Nacht den Berg hinunterliefe und Lucas zurückließ. Sie seufzte. Vielleicht fände sie Jons Partymeute ja im Wintergarten, aber bei ihrem Pech würde Sam sich bestimmt ausgerechnet diese Nacht aussuchen, um wieder nach Hause zu kommen, und liefe ihr in einem der dunklen Korridore über den Weg. Wenn ihr nichts Schlimmeres begegnete.
Und dann kam ihr Traum durch die Tür.
Jon stand an der Türschwelle. Er kam auf sie zu, ohne einen anderen anzusehen, sein Haar fiel ihm flammend auf die Schultern und sein Gesicht glänzte ernst im Halbdunkel.
»Könntest du bitte mitkommen, Rosie? Ich muss mit dir reden.«
»Klar«, sagte sie mit vorgetäuschter Nonchalance.
Schweigend führte er sie über die Gänge, in denen sie sich jedes Mal verirrte. Ihr Herz hüpfte vor Freude. Sie spürte Jons Lebendigkeit so warm und seidig, dass sie Mühe hatte, ihn nicht anzufassen. Mel hätte sich diese Chance nicht entgehen lassen, aber Rosie war so nervös, dass sie sich sicher war, es zu vermasseln.
»Was ist denn?«, erkundigte sie sich leichthin, um das Schweigen zu brechen.
»Lucas ist krank geworden«, sagte Jon. »Er musste sich übergeben und ist irgendwie ohnmächtig geworden. Jetzt scheint er wieder okay zu sein, aber er hat nach dir gefragt.«
Rosie wurde das Herz schwer. Ihr Traum war zerbrochen und Angst füllte die Leere. »Was ist mit ihm?«
»Zu viel Apfelwein, sagt er.«
»Dieser Blödmann!«
Jon führte sie zu einer Treppe, die sie bisher noch nie entdeckt hatte, und begleitete sie in den ersten Stock. Auf dem Treppenabsatz hüllte der Duft von Blumen und Kerzen sie ein. Alles war in Elfenbeinfarbe und Zartgrün gehalten, an den Wänden hingen japanische Kalligrafien.
»Er ist hier drin«, sagte Jon und lächelte entschuldigend, als er die Tür zu einem Wohnzimmer mit zwei Sofas öffnete, das ganz in Rot und im chinesischen Stil ausstaffiert war.
Sie war wütend, aber als sie den zitternden Lucas sah, der bleich wie ein Gespenst war und von Sapphire umsorgt wurde, schmolz sie dahin. »Was soll denn das?«, fragte sie und setzte sich neben ihn. »Du kannst dich doch nicht volllaufen lassen wie ein Wikingergott. Außerdem bist du noch gar nicht alt genug.«
Er lächelte sie matt an. »Ich weiß. Versprichst du mir, dass du unseren Eltern nichts erzählst?«
»Es tut mir wirklich sehr leid, Mrs Wilder«, sagte Rosie verlegen, weil sie sich verantwortlich fühlte. »Normalerweise weiß er sich zu benehmen.«
»Das ist doch nicht deine Schuld, meine Liebe. Das gehört leider alles zum Erwachsenwerden dazu.«
Jon sagte: »Ist es in Ordnung, wenn ich wieder gehe, Sapphire? Ich sollte mich um die anderen kümmern.«
Sapphire wandte sich ihm kühl zu und sagte: »Deine Gäste werden jetzt sicherlich nach Hause oder zu Bett gehen wollen. Kümmere dich um sie und ich sehe nach den beiden hier.«
»Danke.« Und sehr zu Rosies Bedauern schlüpfte Jon hinaus. Er war offensichtlich erleichtert, flüchten zu können, und nicht im Entferntesten daran interessiert, Zeit in ihrer Gesellschaft zu verbringen. Nichts hatte sich
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