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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Warrington
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andermal weiter. Jetzt solltet ihr aber schlafen. Wir haben zwar viele freie Zimmer, aber nicht viele mit richtigen Betten darin. Lawrence’ Exfrau hatte nicht viel übrig für Häuslichkeit und Gastfreundschaft, wie ihr vermutlich gemerkt haben werdet. Werdet ihr auf diesen Sofas hier klarkommen? Ich bringe euch Decken und Kissen. Auf diese Weise kannst du deinen Bruder im Auge behalten.«
    »Vielen Dank«, sagte Rosie. »Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen.«
    »Aber gern, meine Lieben.« Sapphire hauchte ihnen einen Kuss zu.
    Lucas war mit Jon auf dem Dachboden. Das geflügelte Wesen war vor ihnen – kein Gemälde, sondern lebendig – und es versteckte sein Gesicht in seinen Händen. Von Zeit zu Zeit schluchzte es leise und gequält.
    Auch Sapphire war dabei und beugte sich über den Kopf des Engels. Zwischen den sich auftürmenden Schatten war sie kaum zu sehen. »Das ist Sache deines Vaters«, sagte sie.
    »Wir müssen es freilassen«, sagte Lucas verzweifelt. »Ihr könnt es hier nicht gefangen halten, das ist falsch, das ist grausam!«
    »Ich kann nichts dagegen tun«, sagte Sapphire. Sie legte ihre Hand unter das Gesicht des Wesens und fing eine große glänzende Träne auf. Als sie diese in die Höhe hielt, sah Lucas, dass es ein tränenförmiger Elfenstein war. »Hierher kommen die Albinitsteine. Es sind die Tränen des gefangenen Gottes.«
    »Warum weint er?«, wollte Jon wissen.
    »Wegen all der unerwiderten Liebe, mein Lieber«, sagte Sapphire.
    Lucas schreckte mit Herzklopfen aus diesem schrecklichen Albtraum auf. Er brauchte einige Zeit, bis er wieder wusste, wo er war. Er schaute hoch an die Decke und überlegte, ob sich der Dachboden über ihm befand und der Engel noch immer dort oben war und weinte.
    Er versuchte wieder einzuschlafen, aber der Raum drehte sich und er fiel wieder in den steinernen Kiefer der Tore. Seine Schwester schlief tief und fest. Durstig und ausgehungert beschloss Lucas, sich auf den Weg in die Küche zu machen.
    Rosie regte sich nicht, als er sich aus dem Zimmer schlich. Auf Zehenspitzen und barfuß trat er im Pyjama hinaus auf den Korridor und tastete sich hinunter zum Zwischengeschoss, wo kaltes Mondlicht die lange Galerie erhellte. Rosie klagte immer, dass dieses Haus sich bewegte und einem Streiche spielte, aber er empfand es als überaus solide, wie eine Festung.
    Teppiche kitzelten an seinen Füßen, die Treppenstufen waren kalt und wachsglatt, dann folgten die Steinfliesen des großen Saals, auf denen man wie auf Eis ging. Die Halluzinogene waren noch immer in seinem Kreislauf aktiv und alle seine Sinne reagierten überempfindlich. Vielleicht träumte er immer noch.
    Die Küche war teuer renoviert worden und roch nach frischem Holz – Sapphires Werk. Mondlicht fiel rautenförmig auf helles Holz und schwarzen Marmor. Unter einem Fenster entdeckte er die Spüle, hielt seinen Mund unter den Wasserhahn und trank einen großen Schluck Wasser. Dann tastete er mit seinen Händen über die Arbeitsfläche, bis er eine Bonbondose aus Porzellan fand.
    Als er den Deckel entfernte, schienen ihm menschliche Gehirne entgegenzuquellen – oder Pilzköpfe. Er zuckte zurück. Nein, es waren nur Haferkekse. Er nahm sich eins und es schmeckte köstlich.
    Beim Essen grübelte er über Jon nach – welche Absichten er in Wahrheit damit verfolgte, psychedelische Pilze zu verteilen –, aber er konnte nicht klar denken. Das Mondlicht war dicht wie Kristall und die Dunkelheit fühlte sich auf seiner Haut pelzig an. Nichts war, wie es sein sollte. Nur die mehlige Wärme von Hafer auf seiner Zunge verankerte ihn in der Wirklichkeit.
    Dann berührte ihn etwas im Dunkeln.
    Um seine Schenkel schlich ein Schatten, der nach den Krümeln schnüffelte, die er fallen ließ. Er versuchte ihn mit seinem Knie zu vertreiben, aber er traf nur Luft. Der Schatten hatte weder Masse noch Geruch, aber er war da . Kein Tier, sondern etwas Geschmeidiges und Hungriges, dessen Berührung sich wie feuchtes Leder anfühlte.
    Lucas war wie versteinert. Sein Arm streckte sich nach der Wand aus, bis er einen Lichtschalter fand. Grelles Licht blendete ihn, doch er sah, dass zu seinen Füßen kein Dämon saß.
    Aber da war ein Mann im Raum mit ihm.
    In der Mitte der Küche stand eine Kochinsel, und der Mann befand sich dahinter und starrte ihn an. Bleiche Haut straffte sich über harten Knochen, das schwarze Haar war nach hinten gekämmt, die schmalen Augen farblos. Das Gesicht aus seinem Rauschgiftalbtraum.

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