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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Warrington
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Reh auf der Straße? Bei diesem Wetter würde so spät bestimmt kein Mensch mehr unterwegs sein. Sie drosselte das Tempo, konnte aber durch die schwankende Regenwand nichts erkennen.
    Dann schälte sich eine schlurfende Gestalt aus dem Dunkel und taumelte plötzlich auf ihren Wagen zu. Sie schrie auf und trat auf die Bremse. Im unheimlichen Regenlicht ihrer Scheinwerfer erkannte sie wirres Haar und ein hageres Gesicht. Sie wich auf gut Glück aus und fuhr knapp an dem Mann vorbei, geriet ins Schleudern, während er zur Seite torkelte. Die zerzauste finstere Gestalt drehte sich nach ihr um, als sie mit dem Wagen an ihr vorbeiglitt.
    Mit einem raschen Blick in die Spiegel sah sie, dass er noch immer auf den Beinen war, unverletzt. Mit triefenden Haaren und formlos in seinem dunklen Überzieher taumelte er mitten auf der Straße dahin. Ein Landstreicher. Betrunken oder unter Drogen und weiß Gott wohin unterwegs. Rosie trat aufs Gaspedal und beschleunigte. Sie war zu erschüttert und verängstigt, um anzuhalten. Wenigstens hatte sie ihn nicht umgefahren, sondern ihnen beiden bloß einen höllischen Schrecken eingejagt. Doch er war noch immer da draußen und lief auf das einsam gelegene Cottage zu. Na toll.
    Sie bog in die Auffahrt ein. Keine anderen Autos, keine Lichter. Es sah aus, als würden ihre Mitbewohner vor morgen nicht zurückkommen. Nachdem sie überprüft hatte, dass keiner im Garten lauerte, sprang sie aus dem Auto, sperrte es ab, rannte zur Eingangstür und fummelte panisch den Schlüssel ins Schloss.
    Sie war im Haus. Die Tür war zu, verriegelt – dann ging sie durch sämtliche Räume und schaltete überall das Licht an. Sie trug ihre Tasche nach oben und überprüfte sämtliche kleinen, schiefen Schlafzimmer auf mögliche Eindringlinge, kam sich töricht dabei vor und musste es doch tun. Als sie wieder unten war, drehte sie Musik laut und füllte den Wasserkocher. Nein, Wein war angesagt.
    Es sind Momente wie diese , überlegte sie, in denen jemand das Strom- und das Telefonkabel kappt .
    Nein , sagte sie sich und atmete tief durch. Das ist kein Film. Beruhige dich, Dummkopf .
    Ihre Panik ließ nach, aber ihre Nervosität blieb, weil weder Licht noch Musik darüber hinwegtäuschen konnten, dass eine lange Nacht vor ihr lag. Bitte, lass ihn nicht zum Cottage kommen, überlegte sie. Mag sein, dass er nur ein Dach über dem Kopf suchte, aber es gab keine Garantie, dass er harmlos war.
    Sie versuchte sich ganz normal zu verhalten, zog ihre Schuhe aus und machte es sich mit einem Glas Wein auf dem Sofa bequem. Der vertraute Raum mit seinen abblätternden weißen Wänden, alten Teppichen und durchhängenden Polstermöbeln kam ihr kalt und schäbig vor.
    Ein Klopfen an der Tür.
    »Verdammt!«, schrie sie und sprang kerzengerade auf, wobei sie ihren Wein verschüttete.
    Sollte sie die Lichter ausmachen und so tun, als wäre keiner zu Hause? Zu spät. Die Härchen ihrer Haut stellten sich auf. Vielleicht ginge er ja weiter, wenn sie ihm etwas Geld durch den Briefschlitz schob. Es klopfte wieder. Sie fluchte und war wild entschlossen, ihn wegzuschicken.
    »Rosie!«, sagte eine dünne Stimme, die sie aber nicht erkannte. Wieder wurde geklopft. »Rosie, mach auf, ich bin es nur!«
    Verwirrt ging sie vorsichtig zur Tür. Sie achtete darauf, dass die Kette vorlag, atmete tief durch und öffnete sie. Vor der Tür stand der Landstreicher. Im schäbigen Mantel, mit strähnigen Haaren, Regen, der über ein geisterhaftes Gesicht lief, dunkle Ringe um die Augen.
    Der Landstreicher war Jon.
    »Darf ich reinkommen?«, bat er. »Ist das okay?«
    Sprachlos löste sie die Kette und ließ die feuchte Erscheinung über ihre Schwelle. Tropfend stand er auf dem Teppich, schniefte und fuhr sich mit der Hand durch sein Haar. Er sah schlimm aus. Sein Gesicht war ausgezehrt, die Augen eingesunken, mit braunen Rändern. Er war nicht betrunken, nur müde und verzweifelt, vielleicht auch krank. Rosie konnte sich vor Schreck nicht rühren. »Was machst du hier?«, fragte sie schließlich.
    »Ist es in Ordnung? Es macht dir doch nichts aus, oder?« Er schlurfte zum Sofa und wäre beinahe über eine hochstehende Teppichecke gestolpert.
    »Nein, natürlich nicht – warte, ich nehme dir deinen Mantel ab«, sagte sie, als er sich schon mit dem durchnässten Kleidungsstück hinsetzen wollte. »Ich bin nur überrascht.«
    Der Mantel war zentnerschwer. Als sie ihn an den Pfosten am Fuß der Treppe hängte, verströmte er den Geruch von

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