Valadas versinkende Gaerten
Geschwister laufen schon tief ins Innere des Hauses, auf den Patio, dorthin, wo man am wenigsten von dem Mordlärm vernehmen kann. Geschrei und Rufe; meine zwei Schwestern und die drei Schwägerinnen (wir sind eine große Familie) versammeln ihre Kinder um sich, die Säuglinge auf dem Arm. Die Dienerinnen höre ich aufgeregt durcheinanderreden. Waffengeklirr: Die Dienerschaft und meine Brüder und Schwäger rüsten sich. Vielleicht muss man sich verteidigen . . .
»Kasmuna!« Das ist mein Vater. Er öffnet die Tür, steht nur da und blickt mich an, seine wissenden Augen sehen die Perlen der Prinzessin, sehen meine Hände, die sich trostsuchend um das Liebespfand schließen.
»Komm, meine Gazelle«, bittet er. »Sei deiner Mutter gehorsam und mir. Ich weiß, du möchtest fort, dein Herz ist nicht hier. Doch bleibe bei uns in dieser Stunde, wenn auch deine Gedanken woanders hingehen.«
Er zieht mich an sich, und ich lehne mich an ihn, diesen Mann, der in seiner Jugend selbst ein Poet war und ebenso Dichtung und Dichter liebt wie ich und wie all jene, die dort in dem Haus voller Licht leben.
Geschlossenen Auges lasse ich mich von ihm führen, die vertrauten Stufen hinunter, dorthin, wo meine Mutter und meine Geschwister bebend einen Psalm zu singen versuchen.
Wie laut die Schläge an der Tür sind.
»Fürchte dich nicht!«
Sagt es mein Vater? Sagt sie es, die Prinzessin, die niemals Furcht empfindet?
Mir ist schwindlig. Ich habe keine Zuflucht. Bin so zwischen zwei Polen mit ausgestreckten Armen, und keinen kann ich erreichen. Neige ich mich auf die Seite der jüdischen Familie, schon beginnt der andere Pol an mir zu zerren und zu ziehen. Und wende ich mich um, jener starken Kraft zugekehrt, schon packt mich wieder die andere Seite.
Betäubt scheine ich, mühsam tasten sich meine Füße nach unten.
Hinter meinen geschlossenen Lidern flackern die Flammen der Furcht.
MUHDJA.
Weiß ist die Farbe jenes Stammes, der mit dieser Stadt Cordoba und dem, was an Besitzungen und Ländereien dazugehörte, einst verbunden war wie das Herz mit dem Körper.
Und in Weiß liebt sich die Prinzessin zu kleiden, weiß wie der Schnee auf den Berggipfeln der Sierra Nevada im Süden, die man an klaren Tagen schimmern sieht am Horizont.
Weiß wie ein Engel des Lichts steht Valada im Vorraum und breitet die Arme aus; das heißt, sie hat gewartet, das heißt, sie hat sich vielleicht gar um mich gesorgt, auch wenn sie das nicht zugeben wird.
Und ich stürze mich in die Helligkeit hinein, in den Geruch nach Moschus und Orange, der sie umgibt, noch zitternd von diesem Gang durch die Nacht und, wie mir scheint, noch mit der Aura der Angst und der Finsternis umgeben, die hier nicht hergehört. Die von hier verbannt sein sollte.
»Mein kleines Weibchen! Meine Muhdja, Verkäuferin schöner Feigen! Da hast du dich wirklich zurückgewagt! Wolltest diesen Abend nicht missen? Wie kühn du bist!«
(Sie fragt mich nicht nach dem, was sich da draußen tut. Sie weiß es ja.)
Ihre Stimme kann alles sein. Sie kann schneiden wie eine Klinge aus Damaskus und streicheln wie eine zarte Hand, sie kann so tief aus der Kehle kommen wie das Schnurren einer großen Katze und so hell und hoch klingen wie Vogelruf. Ich bade mich in ihrer Stimme, sie spült die Dunkelheit von mir ab.
Und es macht mich stolz, dass sie mich auszeichnet, indem sie mich so empfängt.
»Wie kann ich verpassen, wenn du ein Fest feierst?«, erwidere ich. »Ich hätte die ganze Nacht wach gelegen und mich nach dir gesehnt.«
Sie küsst mich, fest und fordernd, wie Männer küssen.
Erst jetzt, nach diesem Kuss, sind meine Sinne bereit, etwas anderes aufzunehmen als sie, ihren Geruch, ihre Wärme: das Lachen und Händeklatschen vom Innenhof, dem Patio, das Schwirren eines Instruments, Sprechen, jemand deklamiert etwas.
»Ich habe auf dich gewartet«, sagt sie. »Nun sind wir vollzählig, und ich kann beginnen.«
»Und Kasmuna? Ist sie auch da?«
»Sie wird nicht kommen«, erwidert sie und entlässt mich aus ihren Armen. Ihre Augen sind tief violett – ein Zeichen, dass sie enttäuscht ist. Enttäuscht und ein klein bisschen zornig. »Ich habe heute Mittag noch einmal nach ihr geschickt,aber ihr Vater, Ismael Ibn Jeschulla, lässt sie nicht fort. Sie begehen einen ihrer Feiertage, und da hat die Familie zusammenzubleiben, so ließ er mir erklären.« Sie zuckt die Achseln. »Es tut mir leid, aber ich kann meine Feste nicht nach dem Kalender der Juden einrichten. Meine
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