Valeron der Barbar
Weder seinen Namen noch sein Gesicht vergesse ich! Und die anderen … Was meint Ihr, Aley … Lady Prinzessin?«
»Ich bin hier!«
Er blickte in ihre tränenfeuchten Augen. »Wann … wann habt Ihr Euren Vater zum letzten Mal – lebend gesehen?«
Sie unterdrückte ein Schluchzen tief in der Kehle. Sie war im Augenblick nicht mehr als ein ovales Gesicht unter seegrün getöntem Haar, das aus der Kapuze quoll: ein Gesicht, das über einem wallenden Umhang schwebte, der vom Hals bis zu den Fersen reichte. »Vor mehr als einer Woche. Ich … ich habe König Eshara auf Sid-Alors besucht. Vater schickte mich zu ihm. Ich nahm an, er erwartete Euch und hielt es für besser, wenn ich während der ersten Besprechungen nicht hier wäre.«
Ja, dachte Valeron grimmig. Zweifellos hatte Darcus Cannu den Kaiser davon überzeugt.
»Aleysha, ich glaube, er wurde am Tag meiner Ankunft ermordet, und dann ließ man mich warten, damit man mir ein Motiv unterschieben konnte. Und die Lüge, dass Euer Vater beabsichtigte, Euch mit Darcus zu vermählen … Oh, es ist ein ausgezeichneter und absolut glaubhafter Fall gegen mich, einen Barbaren! Es war alles wohlgeplant, ja bis ins kleinste durchdacht.« Er drehte sich um und stapfte mit dem Blick auf dem Boden in der engen Zelle hin und her. »Was macht dieser Sohn Kroys jetzt?«
»Er ist sich seiner Sache sehr sicher. Ich glaube, er … er hat vor, die Könige zu ersuchen, Euch außerhalb des Rates vor Gericht stellen zu dürfen.«
Diesmal unterdrückte Valeron die Verwünschung nicht, die ihm – auf Sungolisch, rücksichtsvollerweise – über die Lippen quoll. Er trat wieder ans Gitter. »Aleysha, der Thron ist Euer!«
Sie schüttelte den Kopf in der Kapuze. »Nicht wirklich. Die Krönung ist für morgen um die Fünfte angesetzt.«
»So früh?«
»Ja, so hat Darcus es eingerichtet. Er will die Fünf Könige erst hinterher davon unterrichten. Euch hofft er hier zu behalten – und die Könige auf ihren eigenen Welten. Ich bin machtlos, und im Grund genommen gefangen wie Ihr. Ich kann die Stadt nicht verlassen, und erst recht nicht die anderen Welten erreichen.«
»Und so wird es bleiben, solange ich hier bin. Es ist Euch doch klar, dass Ihr in Gefahr seid?«
»Ich – glaube nicht. Nicht, zumindest, während der nächsten zwei Wochen.« Den Silberklang ihrer Stimme übertönte die innere Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. »Darcus hat unsere Vermählung in vierzehn Tagen festgesetzt. Er behauptet, das sei Vaters ausdrücklicher Wunsch gewesen, und auch, dass er nicht gewollt hätte, sie würde aus Trauer um ihn verschoben.« Sie schluckte schwer.
»Hätte Euer Vater einen letzten Wunsch gehabt, Aleysha ca Velquain, wäre es der gewesen, dass Darcus Cannu wie ein Schwein auf der Schlachtbank ausgeblutet würde! Zwei Wochen! Dann bleibt uns also so lange. Aleysha, ich bin noch nie vor einem Kampf davongelaufen. Aber ich muss fort von Carmeis.«
»Ich weiß.« Sie drehte sich um und bückte sich. Stoff raschelte, ehe sie sich wieder ihm zuwandte und ihm eine schmale Lederscheide zuschob. »Deshalb habe ich das mitgebracht.«
Stumm nahm er den kurzen Dolch entgegen. Er zog ihn aus der Hülle, um die scharfe dreieckige Klinge zu prüfen. Aber die Hand, die sie hielt, gab nicht die frei, die sie ihm gegeben hatte. Die Finger waren kalt und weich, so gar nicht wie die Hände der Frauen auf seiner rauen Welt.
»Ich muss mir erst überlegen, wo ich ihn am besten verbergen kann«, sagte er, und seine Lippen zogen sich zu einem Grinsen über die Zähne zurück, das kaum mehr als das Fletschen eines Wolfes war. Er blickte hinunter auf das hohe Lendentuch, seine einzige Bekleidung, während sie sichtlich verlegen zu Boden schaute.
Sie ist eine königliche, feine Frau, dachte er. Kein branarisches Mädchen – ja nicht einmal eine branarische Edelfrau würde den Blick von der Nacktheit eines Mannes abwenden, und schon gar nicht von einem, der nur halbnackt war wie er.
»Valeron, es tut mir so leid – aber mehr kann ich nicht tun. Die Armee, die Palastdiener – sie hören alle auf ihn. Oh, sicher, einige sind gewiss auch mir ergeben, aber ich weiß nicht welche, und keiner wird ohne Beweise glauben, dass Ihr unschuldig seid.
Sie … sie würden nur denken, dass ich … dass ich meine persönlichen Gefühle über das Wohl des Reiches – ja selbst über die Liebe zu meinem Vater stellte. Er …«
»Wisst Ihr denn, ob es nicht so ist?«
Ihre Augen suchten seine in der
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