Valeron der Barbar
Düsternis. »Ich – nein.«
Ihre Antwort beeindruckte ihn mehr, als es jede Versicherung vermocht hätte, sie denke nur an das Wohl des Reiches – oder dass sie in all den sechs Jahren immer an ihn gedacht hatte. Sie hatte ihm zögernd geantwortet und mit einem Wort. Fester legte er seine Finger um die ihren und griff auch nach ihrer anderen Hand. Die Gitterstäbe waren kalt.
»Er braucht mich lebend«, murmelte sie. »Zumindest bis wir vermählt sind.« Voll Abscheu kamen diese Worte über ihre Lippen. »Ich habe niemanden, der mir helfen – dem ich trauen könnte.«
»Doch, mich!« Er schob den Dolch hinten in sein Lendentuch. »Und das hier genügt mir. Aber es mag den Tod eines Mannes bedeuten, der Euch ergeben ist. Seid Ihr Euch auch ganz sicher? Sicher, dass Ihr mich frei haben wollt, damit ich Darcus Schwierigkeiten mache? Es mag zum Bürgerkrieg kommen!« Er gab eine ihrer Hände frei und strich ihr durch das Gitter über das seidenweiche Haar.
»Natürlich bin ich mir sicher!«
Er fluchte innerlich über das Gitter und zog sie näher an sich. Es gelang ihm, ihr einen Kuss auf die Lippen zu drücken, die weich blieben unter den seinen. »Bis zu einer besseren Gelegenheit«, murmelte er. »Wohin soll ich gehen?«
Keiner von beiden gab auch nur die Möglichkeit zu, dass er sich nicht aus dem Verlies befreien konnte. »In mein altes Gemach«, antwortete sie. »Gegenüber – Vaters. Es wird bewacht, aber kein Mann wird es betreten. Seit mehr als zehn Jahren ist es für Männer tabu.«
Er zwang sich grimmig zu einem Lächeln. »Denkt daran, die Lichter zu löschen, wenn Ihr Euch daran macht, ins Bett zu steigen. Ich komme, Aleysha. Nach der Krönung. Ihr traut keinem der Wächter? Keinem einzigen?«
»Ich kann nicht sicher sein, Valeron. Bei keinem.«
Er schüttelte den Kopf und schlug die Faust in die Handfläche. Ihre Hände warteten geduldig auf die Rückkehr der seinen.
»Welche Stunde haben wir, Aleysha?«
»Jetzt? Kurz nach der achten.«
»Welchen Tages? Wie lange bin ich schon hier unten?«
»Über vierzig Stunden.«
»Wisensa! In diesem verdammten Rattenloch gibt es weder Tag noch Nacht! Was ist mit meinen Männern?«
»Sie wurden gefangen genommen, doch keiner kam zu Schaden. Valeron, ich muss jetzt gehen. Ich …«
»Sagt mir noch, wie es mit den Wachen aussieht, damit ich weiß, wann es Nacht ist und niemand mit Essen ankommt.«
»Die Wachen werden alle fünf Stunden abgelöst. Ich … ich habe Angst zu bleiben – Angst zu gehen … Nein! Nein, ich habe keine Angst.«
»Gut! Nur Mut, Aleysha. Wartet auf mich – oben!«
Sie drückte seine Hände. »Wisensa leuchte Euch!«
»Und Euch, Kaiserin!«
Er blickte ihr nach, bis die Dunkelheit sie ganz verschluckt hatte. Dieser verdammte hässliche Umhang! Wie sah Aleysha jetzt mit neunzehn aus? Was war sie geworden? Die Tochter des Kaisers? Zweifellos hatte sie sich in den sechs Jahren verändert. Eine Frau war sie nun, und ihr Gesicht verriet Liebreiz. Gewiss hatte sich auch die Eckigkeit der damals Dreizehnjährigen gegeben. Er grinste. Bald würde er es sicher wissen. Er würde diesen Körper mit den weichen Händen, die darauf gewartet hatten, in seine genommen zu werden, und die samtenen Lippen, die sich unter seinen nicht gerührt hatten, kennen lernen.
Schon jetzt fühlte er sich so gut wie frei. Bald würde er sie in hellerem Licht betrachten können: das bleiche seegrüne Haar, das über ihre schmalen runden Schultern wallte; die rehbraunen Augen; den kleinen purpurnen Mund. Wie sehr Aleysha sich von den Frauen von Branarius unterschied, die wahrhaftig barbarisch in ihrer Offenheit waren. Sie zeigten ihr Verlangen, nahmen sich die Männer, die sie wollten, und hielten mit ihrer Liebe genauso wenig zurück wie ihre groben Männer. Seine Konkubinen waren nach der Schönheit ihres Gesichts und ihres Körpers ausgesucht. Er hatte eine Schwäche für pralle Brüste, üppige Hüften und Schöße, die Kinder tragen konnten. Aber – die Tochter eines Kaisers! Ein Symbol der Zivilisation und Kultur …
Die Liebe war etwas, das er nicht kannte, nie gekannt hatte. Jetzt vielleicht? Er war ein rauer Mann, getrieben von tierischer Wildheit. In seinem Leben hatte es weder den Ort noch die Zeit für Liebe gegeben. Die Sungoli hatten sie nicht gekannt, und er war von ihnen als einer der ihren aufgezogen worden. Nur manchmal in Alpträumen, die ihn schweißüberströmt erwachen ließen, erinnerte er sich, wie die haarlosen Männer
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