Valeron der Barbar
Dolch in dessen Brust und ließ ihn darin stecken, damit nicht noch mehr Blut floss. Dann drehte er den Carmeianer mit dem Gesicht zur Zellenwand, so konnte man meinen, er schliefe. Eine Weile ließ sich ein Ahnungsloser schon täuschen, und Valeron brauchte jede Sekunde, die er gewinnen konnte. Er sperrte die Gittertür von außen zu, hob Aleyshas Dolch auf. Die blutige Unterwäsche und den Schlüsselbund warf er in eine leere Zelle. So wachsam wie zwischen den Bergen der Sungoli schlich Valeron den Korridor hoch. Eine ausgemergelte krumme Kreatur mit strähnigem weißem Haar und geschrumpften Hängebrüsten kreischte mit speicheltriefendem Mund, als er an ihrer Zelle vorbeikam. Obgleich es vielleicht eine Gnadentat gewesen wäre, diese Alptraumgestalt, die einmal eine Frau gewesen war, für immer zum Schweigen zu bringen, schritt der Branarier weiter. Am oberen Ende der alten Steinstufen befand sich eine schwere Eisentür. Er zögerte, holte dann tief Atem und drückte die Klinke.
Die Tür ging nicht auf.
Er zog und schob, doch sie rührte sich nicht. Er blickte über die Schulter. Nein, ganz gewiss war an dem Ring kein Schlüssel für diese Tür gewesen, denn das hier war kein übliches Gefängnis, sondern ein Privatkerker für Gefangene besonderer Art. Jeder Abgelöste würde automatisch den Diensttuenden einsperren. Valeron stieß einen leisen Fluch hervor und stieg langsam die Treppe wieder hinunter.
Sollte er warten?
Nein, denn dann müsste er sich zweifellos seinen Weg freikämpfen, und durch den Krach würden immer mehr Wächter herbeigelockt werden. Entschlossen kehrte er den langen Korridor zurück, mit seinen schmutzigen Zellen zu beiden Seiten. Die Fackel verriet ihm, dass die meisten leer waren. Hinter den Gitterstäben einiger sah er allerdings Kreaturen, die kaum noch Menschenähnlichkeit hatten. Er schauderte, ohne dass er direkt Mitleid empfunden hätte. Auch unter seiner Burg auf Branarius gab es Verliese, in denen er Feinde gefangen hielt, weil er das für besser hielt, als sie durch den Tod zu Märtyrern zu machen.
Vielleicht hat Darcus Cannu das gleiche Los für mich vorgesehen? dachte er.
Der Gang endete mit einer offenen Zelle. Valeron hob die Fackel und schaute hinein. Außer einem Lager aus schmutzigem Stroh war sie leer. Er runzelte die Stirn. Staub bedeckte den Boden außer an einer Stelle. Er trat hinein …
Der Boden gab unter seinen Füßen nach. Mann und Fackel stürzten in die Finsternis.
6
Schwert und Zahn
Valeron fiel vielleicht doppelt so tief, wie er groß war. Über sich hörte er den trügerischen Stein sich wieder schließen. Schmerzhaft schlug er auf. Die Fackel flog durch die Luft, während er selbst eine stahlglatte Schräge abwärtsrutschte. An ihrem Ende rollte er noch ein Stück weiter und blieb lang ausgestreckt liegen. Er hatte sich beide Arme aufgeschürft, sein Schädel dröhnte, und er fühlte sich völlig benommen.
Mit einem letzten Funkensprühen landete die Fackel irgendwo in seiner Nähe. Dunkelheit hüllte ihn ein. Nur vor seinem inneren Auge sah er Sterne. Er bemühte sich, die Besinnung nicht zu verlieren und wachsam zu bleiben. Allmählich hörte das Blitzen der Sterne auf. Düsternis herrschte um ihn. Sein Rücken protestierte, als er sich aufsetzte, und er verfluchte ihn, als wäre er ein Verräter. Die Fackel musste sich irgendwo am Boden dieser – Grube? befinden, aber selbst wenn er sie ertastete, wüsste er nicht, wie er sie wieder anzünden könnte. Er blieb still sitzen, bis seine Augen sich angepasst hatten.
Doch selbst dann gab es wenig zu sehen. Er wusste, dass er sich irgendwo unterhalb der Verliese befand (und diese wiederum waren unter dem Palast) in einer Grube, in die er durch eine Falltür gestürzt war, die sich automatisch wieder geschlossen hatte, nachdem das Gewicht, das sie geöffnet hatte, hinuntergefallen war. So entledigte man sich vermutlich schwieriger Gefangener.
Nicht den geringsten Lichtschimmer gab es in dieser Düsternis, kein Laut störte die Grabesstille.
»Grab!« murmelte er. »Ich rieche den Tod hier!«
Er tastete hinter sich. Die Schräge war so glatt wie poliertes Metall, dessengleichen nur die Alten hatten herstellen können. Die Raumschiffshäfen hatten eine solche glatte nahtlose Oberfläche. Der Ältere Saldon hatte Valeron erzählt, die Alten hätten über die Möglichkeiten verfügt, Gestein so unvorstellbar stark zu erhitzen, dass es schmolz und zu Tafeln, Platten und Blättern jeder
Weitere Kostenlose Bücher