Valhalla: Thriller (German Edition)
vielleicht war es wirklich wichtig. Man konnte John nachsagen, was man wollte, aber er hatte nie zu Übertreibungen geneigt. Die Tatsache, dass er sich die Mühe machte, extra wegen ihr von Norwegen hierherzufliegen, machte sie neugierig. Zumindest konnte sie ihm so weit entgegenkommen und sich anhören, was er zu sagen hatte, ehe sie ihn mit einem Tritt in den Arsch und einigen gepfefferten Empfehlungen wieder zurück nach Oslo schickte. Vielleicht gab sie ihm sogar die Gelegenheit, zu erklären, warum er sich damals wie ein Arsch verhalten hatte. So oder so, es versprach in jedem Fall eine interessante Begegnung zu werden.
Sie überlegte kurz, dann nickte sie. »Na gut. Aber dass du es weißt: Den Kakao kannst du allein trinken. Ich brauche was Stärkeres.«
25
Nordostland …
D er Hundeführer Arkadij Lewtschenko drehte die Verschlusskappe zurück auf die Wodkaflasche und hielt den Kopf lauschend in Richtung Tür gerichtet. Sekunden verstrichen, in denen er wartete, ob er das Geräusch noch einmal hören würde. Der Wind heulte um das Haus. Langsam griff er nach seinem Glas, führte es zum Mund und nippte daran. Nichts. Nur das Klappern der Fensterverschläge und das Knarren der Tür. Er strich über seinen Bart. Vielleicht nur ein verirrter Luftzug, auch wenn es anders geklungen hatte.
Hier draußen in der weißen Wildnis östlich der Hinlopenstraße gab es viele meteorologische Merkwürdigkeiten. Geisterhafte Luftwirbel, vom Schnee geformte Gestalten und seltsame Geräusche, die manchmal an Stöhnen, manchmal an Gesang erinnerten. Für Leute, die zum ersten Mal hier waren, konnte das sehr beängstigend wirken. Für ihn jedoch, der schon seit zwanzig Jahren hier lebte, waren das alte Kamellen. Ihn konnte kaum noch etwas überraschen. So etwas wie das da hatte er allerdings noch nie vernommen. Ein Heulen, gefolgt von einem heiseren Keuchen oder Bellen. Die Hunde hatten es auch gehört und waren deswegen ziemlich aus dem Häuschen. Er hörte, wie sie auf und ab liefen, mit den Pfoten scharrten und winselnde Laute ausstießen.
Vor einiger Zeit hatte ein Eisbär die Gegend unsicher gemacht. Ein Einzelgänger, groß, kräftig und vorsichtig. Ein kapitaler Kerl, der zum Glück anscheinend mehr Angst vor Arkadij hatte als Arkadij vor ihm. Manche dieser Burschen konnten recht zudringlich werden, wenn sie länger nichts zu fressen hatten, doch dieser hier war gleich wieder verschwunden, kaum dass er den russischen Hundeführer gesehen hatte. Arkadij war es lieber so. Menschen und Bären auf demselben Fleck, das vertrug sich nicht. Wenn ein Bär einen Menschen angriff, musste er getötet werden. Der Geschmack von Menschenfleisch war offenbar so unwiderstehlich, dass die Tiere zu Gewohnheitskillern wurden und dabei ziemlich rücksichtslos vorgingen. Erst kürzlich hatte ein Bär ein Kind auf dem Schulweg angefallen und getötet und dafür mit dem Leben bezahlt. Aus Sicht der Mutter verständlich, nicht aber, wenn man bedachte, dass die Könige der Arktis massiv vom Aussterben bedroht waren. Dieses Land war ihr Reich, der Mensch war hier nur geduldet. Doch es gab viele, die davon nichts wissen wollten. Sie glaubten, dies sei ein Vergnügungspark, und führten sich auf, als wären sie zu Hause. Sie ließen ihren Müll herumliegen, begaben sich unnötig in Gefahr und hielten sich trotz strenger Ermahnung nicht an die Spielregeln. Wäre da nicht das Geld, das sie mitbrachten, Arkadij würde ihnen die kalte Schulter zeigen. Doch er war auf die Einnahmen aus dem Tourismus angewiesen, sie ermöglichten ihm ein sorgenfreies Leben.
Die dunkle Zeit des Jahres verbrachte er in seinem Haus in Longyearbyen, doch hin und wieder musste er mal weg von all den Menschen. Dann verließ er die schützende Helligkeit der Stadt und fuhr hinaus in die Wildnis. Die Hütte hier auf Nordostland hatte er ein paar Schweden abgekauft, die sie von einer amerikanischen Forschungsgruppe übernommen hatten. Davor hatte sie angeblich irgendwelchen Kanadiern gehört, aber so genau wusste er es nicht. Vier auf sechs Meter messend, war sie der Ausgangspunkt für seine Tagestouren. Er hatte viel Geld hineingesteckt, um sie so praktisch und komfortabel wie möglich zu machen und ihren Besuchern ein wenig Bequemlichkeit inmitten dieser lebensfeindlichen Umgebung zu bieten. Bis zu sieben Teilnehmer konnte er hier unterbringen, zusammen mit Kleidung, Proviant und allem, was für einen neuntägigen Arctic Trail nötig war. Jeder Teilnehmer führte sein
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