Vampir-Expreß
ins Auge gefasst. »Wie lange sollen wir noch warten? Der Lokführer hat sich auch schon beschwert.«
»Bis zum Sonnenaufgang.«
Er verzog ungläubig das Gesicht. »Meinen Sie das im Ernst?«
»Ja, in dieser Lage gibt es keinen Spaß.«
»Aber weshalb, zum Teufel?«
»Weil hier noch zwei Vampire lauern. Haben Sie das nicht begriffen, Mann?«
Er setzte zu einer Antwort an, verschwieg sie aber, hob die Schulter und drehte sich um. »Ich werde sehen, was sich machen lässt«, sagte er zum Abschied, bevor er wieder in den Zug stieg. Wir schauten ihm nach. Hinter den hellen Scheiben waren die Gesichter der Reisenden zu sehen. Das Abteil mit Dragan und Vera lag auf der anderen Seite, deshalb konnten wir von ihnen nichts sehen.
»Jetzt heißt es warten«, sagte Marek »Vielleicht kommen sie auch nicht.« Er schaute in den Himmel. »Alles ist möglich. Sie können sich verkrochen haben. Ihr braucht euch nur die Wälder anzuschauen. Sie sind dicht genug. Da kann man tage-und wochenlang suchen, ohne auch nur eine Schwinge zu sehen. Verstecke gibt es auch genug, wo sie sich tagsüber verbergen können. Das sieht alles schlecht aus.«
»Weshalb so pessimistisch?« fragte Suko.
Marek grinste schief. »Die Erfahrung, Freunde, die reine Erfahrung mit den Bestien.«
Ich hatte nachgedacht und formulierte das Ergebnis meiner Gedanken in Worte. »Denkt doch mal darüber nach, aus welchem Grunde die Vampire die Fahrt überhaupt unternommen haben. Es sollte doch für sie so etwas wie eine Wallfahrt sein. Und bei einer Wallfahrt hat man ein bestimmtes Ziel, oder?«
Suko hatte verstanden »Du denkst an das Grab der Lady X?«
»Genau.«
»Ja«, sagte auch Marek. »Das ist die Idee. Die Blutsauger werden nicht nach hier, sondern zum Grab der Lady X geflogen sein. Los, wir müssen auf den Friedhof.«
»Andererseits sind hier die Menschen«, warf Marek ein »Hier können sie Opfer bekommen, dort nicht. Da ist nur unheilige Erde. Außerdem sind die Gräber der Vampire durch Kreuze gesichert. Kein Blutsauger kann an die Asche heran.«
Es war wirklich schwierig. Wie wir es auch drehten und wendeten, zu einem klaren Ergebnis kamen wir nicht. Schließlich einigten wir uns auf einen Kompromiss. Es reichten durchaus zwei Leute, die als Bewachung am Vampir-Express zurückblieben. Marek wollte den Gang zum Friedhof antreten. Dass er mit den Blutsaugern umgehen konnte, hatte er ja bewiesen.
Der Pfähler verschwand. Schon bald wurde seine Gestalt vom Nebel verschluckt.
Für Suko und mich begann die Warterei…
***
Der Zug hatte angehalten, und es war Dragan Domescu schwergefallen, nicht auszusteigen. Er kannte Petrila gut, schließlich hatte er als Junge hier seine Ferien verbracht, und er war mit seinem Onkel, dem Bürgermeister, auch stets gut ausgekommen. Es wollte ihm nicht so recht in den Kopf, im Zug zu bleiben, während die anderen auf die Vampire lauerten.
Er tat es eigentlich nur wegen Vera Bogdanowich. Das Auftauchen dieser Person hatte ihn wie ein Blitzstrahl getroffen. Noch nie war er so verliebt gewesen, und er hatte sich entschlossen, Vera nicht mehr von seiner Seite zu lassen, denn auch er war ihr nicht unsympathisch, wie er genau wusste.
»Wenn du aussteigen willst, Dragan, bitte, ich will dich nicht daran hindern.«
»Nein, lass mal. Ich bleibe hier bei den anderen. Es ist wirklich besser.«
»Hast du Angst?«
Dragan hob die Schultern »Ein wenig schon.« Er war aufgestanden, holte seine Reisetasche aus dem Gepäck und öffnete sie. Zu Veras Erstaunen holte er aus der Tasche einen länglichen, vorn zugespitzten Holzgegenstand hervor, den er ein paar Mal in der Hand wog, nickte und schließlich einsteckte.
»Was hast du da?«
»Einen Eichenpfahl.«
»Gegen Vampire?«
»Ja.«
»Das ist doch eine Legende!«
Dragan schüttelte den Kopf. »Keine Legende. Damit kann man Vampire tatsächlich töten.«
»Hast du das schon getan?«
Dragan war wieder vorgegangen, blieb stehen, beugte sich nach unten und strich über das Gesicht der Vera Bogdanowich. »Nein, ich habe es noch nicht versucht.«
»Du würdest es aber tun?«
»Sicher.« Er stellte sich wieder aufrecht hin, trat an das Fenster, schaute hinaus und atmete schwer. Der Zug stand. Die Abteilseite, in dem er sich aufhielt, war dem Bahnhofsgebäude abgewandt, so dass Dragan in Richtung Petrila schauen konnte.
Der Ort war kaum zu sehen. Einige schwache Lichter, die wie ferne Sterne wirkten, leuchteten punktartig in der Dunkelheit. Zudem verschwammen sie im
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