Vampir-Legende
doch Gäste gab es schon seit Wochen nicht mehr.
Der Krieg hatte eben alles anders werden lassen. Über den beiden Bügeln hingen die dunklen Mäntel, große Capes mit besonderen Schulteraufsätzen.
Igor nahm sie an sich.
Einen Mantel schleuderte er seinem Bruder zu, der andere war für ihn.
Jacques hatte den Mantel aus seinen Händen rutschen lassen. Er bückte sich, hob ihn hoch und lachte dabei. Dann warf er ihn über. »Wir gehen, wir verlassen dieses Haus. Wir laufen dem Tod entgegen, aber der Tod weiß nicht, daß uns sein Gesicht nicht schrecken kann, nein, nicht uns.« Er hatte die Arme erhoben und schaute zur Decke, wo die Kerzenflammen Muster hinterlassen hatten.
Igor dachte praktischer. Er war bereits an der Tür stehengeblieben und zog sie vorsichtig auf.
Nichts war beim ersten Blick zu sehen. Nur die breite Auffahrt für die Kutschen. Es brannten keine Gartenlaternen. Einschläge von Kanonen-und anderen Geschützkugeln zeichneten das Gelände nicht. Die Bäume wirkten wie hohe Schutzschilder. Sie waren dicht belaubt, und die schwere Süße einer Spätsommernacht erfüllte die Luft.
Aber der Krieg war nahe. Hinter den Bäumen zeigte der Himmel einen rötlichen Schein. Er stammte weder von einem Morgen- noch von einem Abendrot, es war das Feuer der Vernichtung. Die Soldaten des Nordens räumten in diesem Bruderkrieg auf, sie kannten keine Gnade, sie wollten den Bruder aus dem Süden in die Knie zwingen und ihm die Arroganz austreiben. Das würden sie schaffen, der Süden brannte, und es würde lange dauern, bis die Feuer gelöscht waren.
»Kommst du, Jacques?«
»Ja, ich komme.« Er tanzte noch immer durch die Halle und nahm so seinen persönlichen Abschied von diesem Haus. Der Blick glitt über die Decke hinweg, er streifte auch die Wände, und der Mund des Blutsaugers war zu einem Lächeln verzogen.
Igor stand schon auf dem Weg. Er hatte die Schreie der Männer gehört und wußte, daß sich die Soldaten nicht mehr weit entfernt von ihnen aufhielten. Sie hätten das Haus schon längst abbrennen können, wie es mit vielen anderen geschehen war. Sie hatten es nicht getan.
Wahrscheinlich wollten sie es als Stützpunkt benutzen.
Der blonde Jacques taumelte ins Freie. Seine Augen waren verdreht, der Mund stand offen. Er wirkte wie trunken. Seine Worte drehten sich um den Lebenssaft der Menschen. Er sprach vom Blut, das ihn sehr bald stärken würde. Er liebte es, es gab ihm Hoffnung, es war für ihn das Leben, es war einfach wunderbar.
So lief er dann an seinem Bruder vorbei. Er hielt sich nicht an die Wege, seine Füße bewegten sich über den dichten Rasen, dessen Farbe so saftig aussah.
Er lachte.
Aber er hörte die dumpfen Hufschläge nicht.
Igor hatte sie vernommen. Noch stand er in der Nähe des Hauses, starrte in den Rücken seines Bruders, sah Jacques’ Gestalt dünner und schwächer werden, warnte ihn durch Rufe, bevor er sich in Bewegung setzte und ihm nacheilte.
Urplötzlich waren sie da. Und urplötzlich erhellte das Flackerlicht der Fackeln die Nacht. Es riß große Muster hinein, es war einfach ein Bild, das dazugehörte, es…
»Jacques!«
Der Schrei ließ den Vampir zusammenzucken. Endlich blieb er stehen.
Er drehte sich auch um und sah die Horde der Soldaten aus der Dunkelheit hervorpreschen. Er riß die Arme hoch, als wollte er sie begrüßen. Die Pferde wurden noch einmal angetrieben, das Licht der Fackeln wanderte durch den Garten, und Igor sah zu, daß er aus der Nähe des Hauses verschwand. Er hetzte geduckt los, seine Schritte waren nicht müde. Die Furcht vor dem Zusammenbruch gab ihm noch einmal die Kraft, und er hatte Glück, von den Soldaten nicht gesehen zu werden. Etwa ein Dutzend Männer, die meisten davon ziemlich abgerissen aussehend, zügelten ihre Pferde von dem Haus. Sie sprangen aus den Sätteln, sie lachten, und einer von ihnen schrie:
»Sieht aber verlassen aus. Das ist toll, ein Haus wie für uns geschaffen. Einmalig…«
Sie brachen ein. Sie brachten den Dreck mit. Sie rochen nach Pulverdampf und Tod und nicht mehr nach Blut oder den schweren Parfüms der Damen. Jacques konnte es nicht fassen. Er stand in der Deckung eines Baumes und schaute zurück. Daß sich sein Bruder zu ihm gesellt hatte, nahm er nicht mal zur Kenntnis. Sein Mund zuckte wie die Schatten, die unterschiedlich hell und dunkel durch die Nacht geisterten. Er wollte etwas sagen. Es war zu schwer, die richtigen Worte zu finden. Er schüttelte einige Male den Kopf. Dann verzerrte sich
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