Vampire Academy 04
erstarrte sie mitten im Satz. Ihre Miene warnte mich nur eine Millisekunde, bevor meine Übelkeit es tat. Mit einer einzigen fließenden Bewegung wirbelte ich herum, um mich dem zu stellen, was hinter mir war, und zog gleichzeitig meinen Pflock heraus. Ein Strigoi, hochgewachsen und imposant, hatte sich angeschlichen, als ich abgelenkt gewesen war. Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich hatte mich geweigert, Tamara allein nach Hause gehen zu lassen, aber mir war überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass die Gefahr möglicherweise direkt vor meiner …
„Nein …“
Ich war mir nicht sicher, ob ich das Wort laut ausgesprochen oder nur gedacht hatte. Aber das spielte auch keine Rolle. Das Einzige, was in diesem Moment zählte, war das, was meine Augen sahen. Oder vielmehr das, was meine Augen zu sehen glaubten. Denn dies bildete ich mir garantiert nur ein. Es konnte einfach nicht real sein. Nicht nach all dieser Zeit.
Dimitri.
Ich erkannte ihn sofort, obwohl er sich … verändert hatte. Aber höchstwahrscheinlich hätte ich ihn selbst unter einer Million Männern erkannt. Die Verbindung zwischen uns hätte schon dafür gesorgt. Und nachdem ich nun schon so lange auf ihn verzichten musste, sog ich förmlich jedes Detail von ihm in mir auf. Das dunkle, kinnlange Haar, das er heute Abend offen trug und das in Locken sein Gesicht umspielte; der vertraute Schwung seiner Lippen, die sich jetzt zu einem belustigten und gleichzeitig beängstigenden Lächeln verzogen. Er trug sogar denselben robusten Staubmantel, den er immer getragen hatte, diesen langen Ledermantel, der ohne Weiteres direkt aus einem Cowboyfilm hätte kommen können.
Und dann … waren da noch die typischen Strigoi-Merkmale. Seine dunklen Augen – die Augen, die ich liebte – waren rot umrändert. Die unvorstellbar fahle, totenbleiche Haut. Zu Lebzeiten war sein Teint genauso gebräunt gewesen wie meiner, da wir beide viel Zeit im Freien verbracht hatten. Ich wusste, wenn er seinen Mund öffnete, würde ich Reißzähne sehen.
Die ganze Musterung fand binnen eines Wimpernschlags statt. Als ich ihn gespürt hatte, reagierte ich sehr schnell – schneller, als er wahrscheinlich erwartete. Das Überraschungsmoment war noch immer auf meiner Seite und mein Pflock gezückt und bereit. Er bildete eine perfekte Linie zu seinem Herzen. Mir war auf der Stelle klar, dass ich schneller zustoßen konnte, als er sich würde verteidigen können. Doch …
Die Augen. O Gott, diese Augen.
Selbst mit diesem ekelerregenden, roten Ring um die Pupillen erinnerten sie mich an den Dimitri, den ich gekannt hatte. Der Ausdruck in seinen Augen – das seelenlose, bösartige Glitzern – hatte dagegen überhaupt nichts mit ihm zu tun. Aber die Ähnlichkeit war noch immer groß genug, um mein Herz zu berühren, um meine Sinne und meine Gefühle zu überwältigen. Mein Pflock war bereit. Ich musste für diese Tötung nur meine Bewegung zu Ende führen, einfach nur meinen Schwung aus der Drehung nutzen …
Aber ich konnte es nicht. Ich brauchte einfach noch ein bisschen Zeit, nur ein paar Sekunden, um mir jedes Detail ins Herz zu brennen, bevor ich ihn tötete. Und dann sprach er mich an.
„Roza.“ Seine Stimme klang noch immer so wunderbar tief, und auch der Akzent war derselbe – es war alles nur viel kälter. „Du hast meine erste Lektion vergessen: Zögere niemals.“
Ich konnte gerade noch seine Faust sehen, als sie auf meinen Kopf zuschnellte … dann sah ich überhaupt nichts mehr.
18
Wie zu erwarten war, erwachte ich mit höllischen Kopfschmerzen.
Einige verwirrte Sekunden lang hatte ich keine Ahnung, was eigentlich geschehen war oder wo ich mich befand. Als die Benommenheit abflaute, fielen mir die Ereignisse auf der Straße schlagartig wieder ein. Ich setzte mich aufrecht hin, und meine auf Verteidigung ausgerichteten Sinne waren sofort geschärft, trotz der leichten Schummrigkeit in meinem Kopf. Es wurde Zeit herauszufinden, wo ich jetzt war.
Ich saß auf einem riesigen Bett in einem verdunkelten Raum. Nein – nicht einfach nur ein Raum. Es war eher so etwas wie eine Suite oder ein Atelier. Ich hatte schon das Hotel in St. Petersburg für luxuriös gehalten, aber dieser Raum übertraf alles. In der einen Hälfte der Studiowohnung befanden sich das Bett, auf dem ich saß, sowie die üblichen Schlafzimmeraccessoires: eine Kommode, Nachttische, Spiegel etc. Die andere Hälfte sah aus wie ein Wohnbereich, samt Sofa und Fernseher. In die Wände waren Regale
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