Vampire Academy 04
Zeitpunkt abzuwarten, damit ich mehr Kraft und Informationen sammeln konnte. Obwohl er mich losgelassen hatte, war er nicht zurückgetreten. Nur dreißig Zentimeter lagen zwischen uns. Wider besseres Wissen musterte ich ihn abermals, wie ich es auf der Straße getan hatte. Wie konnte er derselbe sein und doch so verändert? Ich tat mein Bestes, mich nicht auf die Ähnlichkeiten zu konzentrieren – sein Haar, der Größenunterschied zwischen uns, die Form seines Gesichtes. Stattdessen schenkte ich den Strigoi-Merkmalen größere Beachtung, dem Rot in den Augen und der Blässe seiner Haut.
Ich war so fixiert auf meine Aufgabe, dass ich einen Moment brauchte, um zu begreifen, dass er ebenfalls nichts sagte. Er musterte mich eindringlich, als könnten seine Augen direkt durch mich hindurchblicken. Ich erschauerte. Es wirkte beinahe – beinahe! – so, als sei er von mir genauso gefesselt, wie ich von ihm. Doch das war unmöglich. Strigoi besaßen derartige Gefühle nicht, außerdem war die Vorstellung, er könne noch irgendeine Zuneigung für mich hegen, wahrscheinlich reines Wunschdenken. Es war schon immer schwer gewesen, seine Miene zu deuten, und jetzt lag über seinem Gesicht zudem eine Maske aus Raffinesse und Gefühlskälte, die es völlig unmöglich machte zu erkennen, was in ihm vorging.
„Warum bist du hergekommen?“, fragte er schließlich.
„Weil du mir einen Schlag auf den Kopf verpasst und mich dann hierhergeschleppt hast.“ Wenn ich sterben sollte, dann würde ich es wenigstens im echten Rose-Stil tun.
Der alte Dimitri hätte gelächelt oder sogar einen entnervten Seufzer von sich gegeben. Dieser hier blieb teilnahmslos. „Das meinte ich nicht, und das weißt du. Warum bist du hier?“ Er sprach mit leiser Stimme und klang gefährlich. Ich hatte Abe schon zum Fürchten gefunden, aber zwischen den beiden herrschte nicht die geringste Konkurrenz. Selbst Zmey hätte sich zurückgezogen.
„In Sibirien? Ich bin hergekommen, um dich zu finden.“
„Ich bin hier, um von dir wegzukommen.“
Ich war so schockiert, dass ich etwas absolut Lächerliches sagte.
„Warum? Weil ich dich vielleicht töten würde?“
Der Blick, mit dem er mich bedachte, zeigte, dass er meine Bemerkung in der Tat für lächerlich hielt. „Nein. Damit wir einander nicht in dieser Situation begegnen. Jetzt ist es allerdings so, und eine Entscheidung ist unausweichlich.“
Ich war mir nicht ganz sicher, was diese Situation eigentlich war. „Nun, wenn du es vermeiden willst, kannst du mich ja laufen lassen.“
Er trat zurück und ging ins Wohnzimmer, ohne sich nach mir umzudrehen. Ich fühlte mich versucht, einen Überraschungsangriff zu wagen, aber irgendetwas sagte mir, dass ich wahrscheinlich gerade mal auf einen Meter an ihn herankommen würde, bevor er mich mit einem gezielten Rückhandschlag zu Boden warf. Er setzte sich in einen der luxuriösen Ledersessel und faltete seinen fast zwei Meter langen Körper so anmutig zusammen, wie er es schon immer getan hatte. Gott, warum musste er nur so widersprüchlich sein? Er hatte die Gewohnheiten des alten Dimitri, durchmischt mit denen eines Ungeheuers. Ich blieb, wo ich war, an die Wand gelehnt.
„Das ist nicht mehr möglich. Nicht, nachdem ich dich jetzt gesehen habe …“ Wieder betrachtete er mich eingehend. Es fühlte sich seltsam an. Ein Teil von mir reagierte mit Erregung auf die Intensität seines Blickes, genoss die Art, wie er meinen Körper von Kopf bis Fuß musterte. Der andere Teil fühlte sich schmutzig, als liefe dort, wo er mich ansah, Schleim oder irgendeine Brühe über meine Haut. „Du bist genauso schön, wie ich dich in Erinnerung habe, Roza. Nicht dass etwas anderes zu erwarten gewesen wäre.“
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich hatte niemals wirklich ein Gespräch mit einem Strigoi geführt, abgesehen vom Austausch diverser Beleidigungen und Drohungen während des Kampfes. Am ehesten noch hatte ich mit einem Strigoi gesprochen, als Isaiah mich gefangen gehalten hatte. Allerdings war ich bei dieser Gelegenheit gefesselt gewesen, und der größte Teil des Gesprächs hatte sich um meine Ermordung gedreht. Diesmal … nun, es war nicht so wie damals, aber es fühlte sich trotzdem richtig unheimlich an. Mit dem Rücken an der Wand verschränkte ich die Arme vor der Brust. Mehr konnte ich nicht tun, um wenigstens den Anschein einer Verteidigung zum Ausdruck zu bringen.
Er neigte den Kopf und beobachtete mich aufmerksam. Ein
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