Vampire Academy 04
sie an die anderen Partys zurückdachte, die sie an diesem Wochenende gefeiert hatte, und an ihr gesellschaftliches Leben mit Avery, musste sie sich die Frage stellen, was eigentlich in sie gefahren war. Manchmal fühlte sie sich gar nicht wie sie selbst. Und der Kuss mit Aaron … nun, das war noch eine ganz andere Angelegenheit, die ihr ein furchtbar schlechtes Gewissen bereitete.
„Zerbrech dir darüber nicht den Kopf“, sagte Avery im Flugzeug zu ihr. „Wir machen doch alle Dummheiten, wenn wir betrunken sind.“
„Ich nicht“, stöhnte Lissa. „Das ist eigentlich nicht meine Art.“ Trotz dieser Behauptung hatte Lissa sich auf dem Rückflug bereit erklärt, Mimosas zu trinken – Champagner mit Orangensaft.
Avery lächelte. „Auf mich machst du einen ganz normalen Eindruck. Aber du versuchst ja auch nicht, mit einem Menschen oder irgendjemandem durchzubrennen, der nicht von königlichem Geblüt ist.“
Lissa erwiderte Averys Lächeln, und ihr Blick wanderte zu Jill hinüber, die ein wenig weiter vorn im Flugzeug saß. Adrian hatte sich vor einiger Zeit mit dem jüngeren Mädchen unterhalten, aber jetzt war sie mit einem Buch beschäftigt, und ihre größte Sorge schien darin zu bestehen, sich von Reed fernzuhalten. Er saß wieder mit Simon zusammen, und Lissa war ein wenig überrascht, als sie sah, dass der Wächter Jill argwöhnisch musterte. Vielleicht hatte Reed Simon erzählt, dass dieses jüngere Mädchen eine Art Bedrohung darstelle.
„Du machst dir Sorgen um sie?“, fragte Avery, die Lissas Blick gefolgt war.
„Das ist es nicht … ich kann nur diesen Blick nicht abschütteln, den sie mir gestern Abend zugeworfen hat.“
„Sie ist jung. Ich denke, man kann sie einfach noch zu leicht schockieren.“
Lissa vermutete, dass das die Wahrheit war. Doch ob jung oder nicht, die Art, wie Jill sie zur Rechenschaft gezogen hatte, barg etwas erfrischend Klares und Aufrichtiges. Das Ganze erinnerte Lissa an etwas, das auch ich hätte tun können. Und Lissa hielt es kaum aus, zu wissen, dass so jemand schlecht von ihr dachte. Sie stand auf.
„Ich bin gleich wieder da“, sagte sie zu Avery. „Ich will mit ihr reden.“
Jill war offenkundig erstaunt, als Lissa sich neben sie setzte. Das jüngere Mädchen legte ein Lesezeichen in ihr Buch, und was immer sie empfinden mochte, das Lächeln, das sie Lissa schenkte, war aufrichtig. „Hey.“
„Hey“, sagte Lissa. Sie hatte noch nicht allzu viel Mimosa getrunken und besaß immer noch hinreichend Zugriff auf das Geistelement, um Jills Aura sehen zu können. Sie war von einem kräftigen Blaugrün, durchsetzt mit Purpur und Dunkelblau. Gute, starke Farben. „Hör mal, ich wollte mich wegen der Sache von gestern Abend entschuldigen … Was ich gesagt habe …“
„Oh“, erwiderte Jill errötend. „Das ist schon okay, wirklich. Ich meine, die Dinge waren irgendwie verrückt, und ich weiß, dass du nicht klar denken konntest. Zumindest glaube ich das. Aber eigentlich habe ich überhaupt keine Ahnung. Denn genau genommen habe ich noch nie Alkohol getrunken, daher kann ich das im Grunde gar nicht beurteilen.“ Wenn Jill nervös war, schwankte sie scheinbar immer zwischen Geschwafel und Schweigen.
„Na ja, ich hätte eben klar denken sollen, bevor ich mich in diese Situation gebracht habe. Und was mit Reed geschehen ist, tut mir wirklich leid.“ Lissa senkte die Stimme. „Ich habe keinen Schimmer, was da los ist … aber es war nicht richtig, was er getan und zu dir gesagt hat.“
Beide Mädchen sahen zu ihm hinüber. Er war tief in sein Buch versunken, aber plötzlich, so als könne er ihre Blicke spüren, hob er den Kopf und schaute zu ihnen herüber. Er funkelte sie an, und sie wandten sofort ihre Blicke ab.
„Das war definitiv nicht deine Schuld“, meinte Jill. „Und, du weißt schon, Adrian war ja da und alles. Also ist die Sache noch mal gut gegangen.“
Lissa bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Adrian war von ihrem jetzigen Platz aus zwar nicht zu sehen, aber Lissa hatte das Gefühl, dass Jill ihn, wenn er zu sehen gewesen wäre, mit verträumter Miene beobachtet hätte. Adrian betrachtete dafür in letzter Zeit Avery ziemlich häufig mit verträumter Miene, und Lissa konnte erkennen, dass Jill für ihn wohl immer nur die Rolle einer kleinen Schwester spielen würde. Dennoch schien auf der Hand zu liegen, dass Jill eine gewisse Schwärmerei für ihn entwickelte. Das war irgendwie süß, und außerdem – obwohl Lissa
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