Vampire Academy 04
Selbst Strigoi besaßen gewisse Instinkte, um Schmerzen zu vermeiden.
Keuchend – meine körperlichen Kräfte waren noch nicht wieder ganz hergestellt – wich ich zurück. Wenn er den Code kannte, war alles umsonst gewesen. Einen Moment später wackelte der Griff, doch die Tür öffnete sich nicht. Ich hörte einen Zornesschrei und dann das Trommeln seiner Fäuste gegen die Tür.
Punkt eins für mich. Nein, Punkt eins für mein Glück. Wenn er den Code gekannt hätte, wäre ich …
Bamm! Bamm! Marlen hörte einfach nicht auf, gegen die Tür zu hämmern, und inzwischen konnte ich sogar eine winzige Beule in der metallischen Oberfläche erkennen.
„Oh, Mist“, sagte ich.
Ich blieb jedoch nicht lange genug, um herauszufinden, wie viele Treffer nötig waren, um die Tür einzutreten. Außerdem wurde mir noch etwas klar: Selbst wenn ich das erste Schloss funktionsunfähig gemacht hatte, würde Dimitri zweifellos in der Lage sein, auch die andere Tür zu durchbrechen. Dimitri …
Nein. An ihn durfte ich jetzt auf keinen Fall denken.
Als ich den Flur entlang auf die Treppe zulief, über die Dimitri und ich vor Kurzem gegangen waren, tauchte in meinem Kopf plötzlich und unverhofft eine Erinnerung auf. Bei Dimitris letzter Auseinandersetzung mit Nathan hatte er ihm damit gedroht, meinen Pflock aus einem Tresorraum zu holen. Von was für einem Tresorraum hatte er gesprochen? Befand er sich hier im Gebäude? Sollte dem so sein, hatte ich jedenfalls keine Zeit, danach zu suchen. Wenn man die Wahl hatte, entweder ein dreistöckiges Haus voller Vampire zu durchsuchen oder ins Freie zu laufen, bevor sie einen entdeckten … nun, dann lag die Entscheidung ja wohl auf der Hand.
Während ich noch daran dachte, stieß ich oben an der Treppe mit einem Menschen zusammen. Er war älter als Inna und trug einen Stapel Wäsche, den er bei unserem Zusammenprall fallen ließ. Fast ohne zu zögern, packte ich den Mann und stieß ihn gegen die Wand. Ich hatte keine Waffe, mit der ich ihn hätte bedrohen können, und ich fragte mich, wie ich ihm meinen Willen aufzwingen sollte. Doch sobald ich ihn fest im Griff hatte, riss er defensiv die Hände hoch und begann sofort auf Russisch zu wimmern. Von dieser Seite hatte ich jedenfalls keine Angriffe zu erwarten.
Jetzt stand ich natürlich vor dem Problem, ihm zu vermitteln, was ich wollte. Marlen hämmerte immer noch gegen die Tür, und Dimitri würde demnächst auch wieder auf den Beinen sein. Ich funkelte den Mann an und hoffte, beängstigend genug zu wirken. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war mir das gelungen. Also versuchte ich, mich mit ihm wie mit einem Höhlenmenschen zu verständigen, was ja auch schon bei Inna funktioniert hatte … nur dass die Botschaft diesmal ein wenig schwieriger war.
„Stock“, sagte ich auf Russisch. Ich hatte keinen Schimmer, was das russische Wort für Pflock war. Ich deutete jedoch auf den Silberring an meinem Finger und machte eine pfählende Handbewegung. „Stock. Wo?“
Er starrte mich in maßloser Verwirrung an, dann fragte er in perfektem Englisch: „Warum reden Sie so?“
„Ach du Schreck“, rief ich aus. „Wo ist der Tresorraum?“
„Tresorraum?“
„Ein Ort, an dem Waffen aufbewahrt werden?“
Er starrte mich nur mit großen Augen an.
„Ich suche nach einem silbernen Pflock.“
„Oh“, sagte er. „Das.“ Ängstlich blickte er in die Richtung, aus der das Gehämmer kam.
Ich drückte ihn härter gegen die Wand. Mein Herz raste, als wollte es gleich explodieren, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Dieser Bursche sollte mich für unbesiegbar halten. „Ignorieren Sie ihn. Bringen Sie mich zu dem Tresorraum. Sofort!“
Mit einem verängstigten Aufheulen nickte er eifrig und deutete auf die Treppe. Wir gingen in den ersten Stock hinunter und kamen gleich um eine Ecke. Die Flure hier – allesamt prunkvoll mit viel Gold und Kronleuchtern ausstaffiert – waren so verschlungen und verwinkelt wie das Heckenlabyrinth, das Dimitri mir gezeigt hatte, und ich fragte mich, ob ich jemals in der Lage sein würde, das Haus überhaupt zu verlassen. Dieser Umweg war zwar ein Risiko, aber ich war mir nicht sicher, ob ich nach draußen gelangen konnte, ohne verfolgt zu werden. Und wenn ich verfolgt wurde, würde es zu einem Kampf kommen. Ich musste mich also verteidigen können.
Der Mensch führte mich durch einen weiteren Flur und dann durch noch einen. Endlich erreichten wir eine Tür, die aussah wie alle anderen.
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