Vampire Academy 04
doch jetzt, da mir keine unmittelbare Gefahr mehr drohte, wurden sie schwächer. In dem Gefühl, weniger hilflos zu sein, suchte ich verzweifelt nach den Barrieren und der Kontrolle, die ich normalerweise aufrechterhielt, um sie wieder einzusetzen und meine Besucher zu vertreiben.
„Geht, haut ab, verschwindet“, flüsterte ich und presste die Augen fest zu. Die Anstrengung war so gewaltig, als wollte ich einen Berg beiseiteschieben, ein unüberwindbares Hindernis, für das niemand stark genug sein konnte. Dies war es, wovor Mark mich gewarnt hatte, warum ich das hier nicht tun sollte. Die Toten waren eine mächtige Hilfe, aber einmal gerufen, wurde man sie nur schwer wieder los. Was hatte er gesagt? Jene, die sowieso schon am Rande von Dunkelheit und Wahnsinn tanzten, sollten dieses Risiko nicht eingehen.
„Geht!“, rief ich und opferte den letzten Rest meiner Kraft für diese Anstrengung.
Nach und nach verschwanden die Phantome, und meine Welt kehrte wieder zu ihrer rechtmäßigen Ordnung zurück. Nur, als ich zum Ufer hinabblickte, sah ich, dass die Geister, wie ich es befürchtet hatte, nun auch von Dimitri abließen. Und im nächsten Moment setzte er sich auch schon wieder in Bewegung.
„Verdammt.“
Mein Wort der Nacht.
Während er den Hang hinaufsprintete, gelang es mir endlich, auf die Beine zu kommen. Wieder kam er langsamer voran als normalerweise – aber immer noch schneller, als mir lieb war. Ich wich zurück, ohne ihn auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Die Vertreibung der Geister hatte mir neue Kraft verliehen, aber es reichte nicht aus, um zu fliehen. Dimitri hatte gewonnen.
„Kannst du das, weil du schattengeküsst bist?“, fragte er, als er auf die Brücke trat.
„Ja.“ Ich schluckte. „Wie sich herausstellt, haben Geister nicht besonders viel übrig für Strigoi.“
„Du scheinst auch nicht allzu viel für sie übrig zu haben.“
Langsam trat ich einen Schritt zurück. Wohin konnte ich gehen? Sobald ich mich umdrehte, um wegzulaufen, würde er sich auf mich stürzen.
„Also, reicht das jetzt, damit du mich nicht mehr verwandeln willst?“, fragte ich so gut gelaunt, wie es mir möglich war.
Er bedachte mich mit einem schiefen, irgendwie verzerrten Lächeln. „Nein. Deine schattengeküssten Fähigkeiten haben ihren Nutzen … ein Jammer, dass sie verschwinden, sobald du erweckt sein wirst.“ Aha. Das war also immer noch sein Plan. Obwohl ich ihn so sehr erzürnt hatte, wollte er mich immer noch bis in alle Ewigkeit bei sich haben.
„Du wirst mich nicht erwecken“, sagte ich.
„Rose, du hast nicht die geringste Chance …“
„Nein.“
Ich kletterte auf das Geländer der Brücke und schwang ein Bein hinüber. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Er erstarrte.
„Was tust du da?“
„Ich habe es dir gesagt. Lieber sterbe ich, als ein Strigoi zu werden. Ich will nicht so sein wie du oder die anderen. Auf keinen Fall. Früher einmal wolltest du es auch nicht.“ Die nächtliche Brise wehte mir wegen der stillen Tränen auf meinen Wangen kühl ins Gesicht.
Ich schwang auch das andere Bein über das Geländer und blickte in die drängenden Fluten hinunter. Zwischen mir und dem Fluss lagen erheblich mehr als zwei Stockwerke. Ich würde hart auf dem Wasser aufschlagen, und selbst wenn ich den Sturz überlebte, hätte ich nicht mehr die Kraft, gegen die Strömung anzuschwimmen und ans Ufer zu gelangen. Während ich auf das Wasser starrte und über meinen Tod nachdachte, erinnerte ich mich an einen Tag, an dem Dimitri und ich auf der Rückbank eines SUV über eben dieses Thema gesprochen hatten.
Es war das erste Mal gewesen, dass wir nebeneinandergesessen hatten, und überall, wo unsere Körper sich berührten, hatte es sich warm und wunderbar angefühlt. Er roch so gut – dieser Duft, wurde mir bewusst, dieser Duft des Lebendigseins war jetzt fort –, und er war entspannter gewesen als gewöhnlich, sogar bereit zu lächeln. Wir hatten darüber gesprochen, was es bedeutete, am Leben zu sein und die volle Kontrolle über die eigene Seele zu haben – und was es bedeutete, ein Untoter zu werden, die Liebe und das Licht des Lebens und all jene zu verlieren, mit denen man vertraut war. Wir hatten einander angesehen und waren uns einig gewesen, dass der Tod besser sei als dieses Schicksal.
Als ich Dimitri jetzt betrachtete, musste ich diesem Standpunkt erneut zustimmen.
„Rose, nicht.“ Ich hörte echte Panik in seiner Stimme. Wenn ich sprang, war ich tot. Kein
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