Vampire Academy 04
Tatsache, dass ich starke Gefühle für jemand anderen hegte, schmerzte ihn. Und doch … er glaubte aufrichtig daran, dass ich das Richtige tat – dass es das Einzige war, was ich tun konnte.
Lissa blickte auf die Uhr. „Ich muss gehen, gleich ist Sperrstunde. Außerdem sollte ich für meinen Geschichtstest lernen.“
Adrian grinste. „Lernen wird allgemein überbewertet. Finde einfach jemand Kluges, von dem du abschreiben kannst.“
Sie stand auf. „Willst du damit sagen, ich sei nicht klug?“
„Absolut nicht, nein.“ Er erhob sich ebenfalls und schenkte sich aus seiner gut bestückten Bar einen Drink ein. Diese Form der Selbstbehandlung war seine verantwortungslose Art, die Nebenwirkungen des Geistes in Schach zu halten, und wenn er den ganzen Abend lang das Element Geist genutzt hatte, wünschte er sich die Betäubung dieser Gabe. „Du bist die klügste Person, die ich kenne. Aber das heißt nicht, dass du dich mit unnötigen Arbeiten aufhalten musst.“
„Du kannst im Leben nichts erreichen, wenn du nicht arbeitest. Abschreiben bringt einen nirgendwohin.“
„Wenn du meinst“, sagte er mit einem Grinsen. „Ich habe während meiner ganzen Schulzeit abgeschrieben, und sieh dir nur an, wie gut ich heute dastehe.“
Lissa verdrehte die Augen, verabschiedete sich mit einer flüchtigen Umarmung und verließ den Raum. Sobald sie außer Sichtweite war, verblasste ihr Lächeln ein wenig. Tatsächlich nahmen ihre Gedanken sogar eine ausgesprochen düstere Wendung. Die Erwähnung meiner Person hatte alle möglichen Gefühle in ihr wachgerüttelt. Sie machte sich Sorgen um mich – verzweifelte Sorgen. Sie hatte Christian schon gesagt, dass sie sich wegen allem, was zwischen uns geschehen war, schlecht fühlte, aber erst jetzt begriff ich das ganze Ausmaß ihrer Qual. Sie quälte sich mit Schuldgefühlen, war verwirrt und wetterte gegen sich selbst wegen der Dinge, die sie hätte tun sollen. Aber vor allem vermisste sie mich. Sie hatte genau wie ich das Gefühl, als sei ein Teil von ihr einfach abgetrennt worden.
Adrian wohnte im dritten Stock, und Lissa entschied sich für die Treppe statt für den Aufzug. Die ganze Zeit über schwirrte ihr vor lauter Sorgen der Kopf. Sorgen, ob sie den Geist jemals würde meistern können. Sorgen um mich. Sorgen darüber, warum sie derzeit die dunklen Nebenwirkungen des Geistes nicht zu spüren bekam, sodass sie sich fragte, ob ich sie womöglich absorbierte, genauso wie es seinerzeit eine Wächterin namens Anna getan hatte. Diese war vor Jahrhunderten durch ein Band mit dem heiligen Vladimir verknüpft gewesen, dem Namenspatron der Schule. Sie hatte die abscheulichen Nebenwirkungen des Geistes von ihm absorbiert – und war darüber wahnsinnig geworden.
Im ersten Stockwerk hörte Lissa lautes Geschrei, selbst durch die Tür, die das Treppenhaus vom Flur trennte. Obwohl sie wusste, dass es nichts mit ihr zu tun hatte, zögerte sie, und ihre Neugier gewann die Oberhand. Einen Moment später drückte sie die Tür leise auf und trat in den Flur. Die zu den Stimmen gehörenden Sprecher konnte sie nicht sehen. Also spähte sie vorsichtig um die Ecke – nicht dass es nötig gewesen wäre, denn sie erkannte die Stimmen sofort.
Avery Lazar stand mitten im Flur, hatte die Hände in die Hüften gestemmt und starrte ihren Vater an. Er stand in der Tür zu seiner Suite. Beider Haltung war starr und feindselig, und ihre Zorn war mit Händen zu greifen.
„Ich werde tun, was ich will“, schrie sie. „Ich bin nicht deine Sklavin.“
„Du bist meine Tochter“, entgegnete er mit einer Stimme, die ebenso ruhig wie herablassend war. „Obwohl ich mir manchmal wünschte, du wärst es nicht.“
Autsch. Sowohl Lissa als auch ich waren schockiert.
„Warum zwingst du mich dann, in diesem Höllenloch zu bleiben? Lass mich an den Hof zurückkehren!“
„Damit du mich noch weiter in Verlegenheit bringst? Wir sind gerade noch von dort weggekommen, ohne dem Ruf dieser Familie allzu sehr zu schaden. Auf keinen Fall werde ich dich allein dort hinschicken und dich Gott weiß was tun lassen.“
„Dann schick mich zu Mom! Selbst die Schweiz dürfte besser sein als dieser Ort.“
Es folgte eine Pause. „Deine Mutter ist … beschäftigt.“
„Oh, sehr nett“, sagte Avery mit vor Sarkasmus triefender Stimme. „Das ist wirklich eine sehr höfliche Art, mir zu sagen, dass sie mich nicht bei sich haben will. Überrascht mich nicht. Ich würde ihr und diesem Typen, mit dem sie schläft,
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