Vampire Academy 05
gehabt und konnten uns einer umwerfenden Aussicht erfreuen. Lissa stand am Fenster, wie gebannt von dem Anblick der Leute und Autos auf dem Strip unter ihr. Aber dann kam ich direkt zur Sache.
„Okay, rufen Sie ihn an“, befahl ich Victor. Er hatte sich auf einem der Betten niedergelassen, die Hände gefaltet und einen heiteren Ausdruck auf dem Gesicht, als mache er wahrhaft Ferien. Trotz dieses selbstgefälligen Lächelns konnte ich die Linien der Müdigkeit auf seinem Gesicht erkennen. Selbst mit seiner Extraration Blut waren die Flucht und die lange Reise anstrengend gewesen, und die Auswirkungen seiner allmählich zurückkehrenden Krankheit forderten natürlich auch ihren Tribut von seiner körperlicher Stärke.
Victor griff unverzüglich nach dem Telefon des Hotelzimmers, aber ich schüttelte den Kopf. „Liss, lass ihn dein Handy benutzen. Ich will, dass diese Nummer aufgezeichnet wird.“
Zaghaft reichte sie ihm das Telefon, als könne er es irgendwie verseuchen. Er ergriff den Apparat und bedachte mich mit einem beinahe engelsgleichen Blick. „Ich nehme nicht an, dass ich ein wenig Privatsphäre beanspruchen könnte? Es ist schon so lange her, seit Robert und ich das letzte Mal miteinander gesprochen haben.“
„Nein“, blaffte ich. Die Härte in meiner Stimme erschreckte mich sogar selbst, und mir kam allmählich der Gedanke, dass Lissa nicht die Einzige sein mochte, die an all dem Geist litt, den sie heute benutzt hatte.
Victor zuckte kaum merklich die Achseln und begann zu wählen. Er hatte uns während eines der Flüge erzählt, dass er sich Roberts Nummer eingeprägt habe, und ich musste einfach darauf vertrauen, dass sein Bruder auch tatsächlich die Person war, die er jetzt anrief. Außerdem musste ich hoffen, dass sich Roberts Nummer nicht geändert hatte. Natürlich war Victor, selbst wenn er seinen Bruder seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, erst seit kurzer Zeit im Gefängnis gewesen und hatte vorher wahrscheinlich ziemlich genau verfolgt, wo Robert sich aufhielt.
Anspannung erfüllte den Raum, während das Telefon am anderen Ende der Leitung klingelte. Schon einen Moment später hörte ich eine Stimme durch den Lautsprecher des Handys – obwohl ich den genauen Wortlaut nicht ausmachen konnte.
„Robert“, sagte Victor freundlich, „hier ist Victor.“
Dies stieß auf eine hektische Reaktion am anderen Ende. Ich konnte zwar nur die Hälfte des Gesprächs hören, aber es war sehr faszinierend. Zuerst verbrachte Victor eine Menge Zeit damit, Robert davon zu überzeugen, dass er aus dem Gefängnis freigekommen war. Offenbar hatte sich Robert nicht so weit von der Moroi-Gesellschaft entfernt, dass er mit den neuesten Nachrichten nicht vertraut war. Victor erklärte ihm, dass er ihm die Einzelheiten später berichten würde – und eröffnete ihm dann, dass Robert herkommen solle, um sich mit uns zu treffen.
Es dauerte lange. Ich gewann den Eindruck, dass Robert in Furcht und Paranoia lebte, was mich an Ms Karp erinnerte, als sie sich in den fortgeschrittenen Stadien des Geistwahnsinns befunden hatte. Lissa schaute während des ganzen Telefongesprächs weiter mit starrem Blick aus dem Fenster, aber ihre Gefühle spiegelten die meinen wider: Furcht, dass dies eines Tages ihr Schicksal sein könnte. Oder auch meines, wenn ich die Nebenwirkungen von Geist in mir aufnahm. Das Bild des Tarasov-Schildes blitzte kurz in ihren Gedanken auf: ACHTUNG – SIE BETRETEN JETZT DEN GEFANGENENBEREICH ( PSYCHIATRIE ).
Victors Stimme wurde überraschend einschmeichelnd, während er mit seinem Bruder sprach, sogar geradezu sanft. Ich fühlte mich mit Unbehagen an alte Zeiten erinnert, bevor wir von Victors irrsinnigem Plan erfahren hatten, dass er die Herrschaft über die Moroi übernehmen wollte. Damals hatte er auch uns freundlich behandelt und war praktisch ein Mitglied von Lissas Familie gewesen. Ich fragte mich, ob er wohl an irgendeinem Punkt aufrichtig gewesen war, oder ob es sich durchweg nur um eine Show gehandelt hatte.
Schließlich, nach fast zwanzig Minuten, überredete Victor Robert, sich mit uns zu treffen. Die unverständlichen Worte am anderen Ende der Leitung erklangen voller Furcht, und an diesem Punkt war ich davon überzeugt, dass Victor tatsächlich mit seinem verrückten Bruder sprach und nicht mit einem seiner Komplizen. Victor vereinbarte ein Treffen zum Abendessen in einem der Restaurants des Hotels und legte schließlich auf.
„Abendessen?“, fragte ich, als Victor das
Weitere Kostenlose Bücher