Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
einer Provokation anzugreifen. Der Moroi-Anführer richtete seine Aufmerksamkeit jetzt nicht mehr auf Sydney, sondern auf Dimitri und mich.
„Seid ihr hier, um euch uns anzuschließen?“, fragte er argwöhnisch.
„Wir brauchen einen Unterschlupf“, antwortete Sydney und berührte sachte ihre Kehle. „Sie werden gejagt von – von den Verdorbenen.“
Die Frau mit dem Feuerball wirkte skeptisch. „Auf mich machen sie eher den Eindruck von Spionen für die Verdorbenen.“
„Die Verdorbene Königin ist tot“, sagte Sydney. Sie deutete mit dem Kopf auf mich. „Sie glauben, sie hätte es getan.“
Der neugierige Teil meines Selbst wollte schon das Wort ergreifen, überlegte es sich dann aber prompt anders. Ich war schlau genug zu wissen, dass ich diese bizarre Wendung der Ereignisse am besten in Sydneys Händen beließ. Ich verstand nicht, was sie sagte. Als sie erklärt hatte, Verdorbene machten Jagd auf uns, dachte ich zunächst, sie versuche dieser Gruppe einzureden, wir würden von Strigoi verfolgt. Nachdem sie jetzt aber die Königin erwähnt hatte, war ich mir da nicht mehr so sicher. Ich war mir auch nicht so sicher, ob es allzu klug war, mich als mögliche Mörderin vorzustellen. Immerhin könnte mich Braunbart gut und gern ausliefern und versuchen, dafür eine Belohnung zu kassieren. Dem Aussehen seiner Kleidung nach zu urteilen, hätte er eine brauchen können.
Zu meiner Überraschung zauberte diese Bemerkung ein Lächeln auf sein Gesicht. „Und so scheidet eine weitere Usurpatorin dahin. Gibt es denn schon einen neuen Monarchen?“
„Nein“, sagte Sydney. „Sie werden aber bald Wahlen abhalten.“
Das Lächeln auf den Gesichtern der Gruppe wurde durch einen Ausdruck der Missbilligung ersetzt, und unwilliges Gemurmel über Wahlen wurde laut. Ich konnte mich nicht zurückhalten. „Wie sonst sollten sie einen neuen König oder eine neue Königin bestimmen?“
„Auf die einzig wahre Art und Weise“, erwiderte ein Dhampir in der Nähe. „So, wie es früher geschah, vor langer Zeit. In einem Kampf auf Leben und Tod.“
Ich wartete noch auf die Pointe, aber der Mann meinte es offensichtlich ernst. Ich wollte Sydney schon fragen, in was sie uns da hineingeritten hatte, aber mittlerweile war die Inspektion offenbar zur Zufriedenheit des Führers verlaufen, denn er drehte sich um und ging den Pfad hinunter. Die Gruppe folgte und nahm uns dabei mit. Während ich ihren Gesprächen zuhörte, konnte ich mir ein kleines Stirnrunzeln nicht verkneifen – und das nicht nur, weil unser Leben vielleicht auf dem Spiel stand. Mich faszinierte der Akzent dieser Leute. Der Mann an der Rezeption des Motels hatte einen schweren, südlichen Akzent gehabt, also genau das, was man in diesem Teil des Landes erwarten würde. Diese Leute hier klangen zwar ähnlich, sprachen jedoch gewisse Wörter etwas anders aus, was mich beinahe an Dimitris Akzent erinnerte.
Ich war so angespannt und nervös, dass ich mich kaum darauf konzentrieren konnte, wie lange wir unterwegs waren. Schließlich endete der Pfad auf einem gut versteckten Lagerplatz. Um ein riesiges Feuer, das auf einer Lichtung brannte, saßen etliche Leute. Doch auf einer Seite zogen sich einige Gebäude an dem Pfad entlang, der hier wesentlich breiter wurde. Er war zwar noch nicht ganz so breit wie eine richtige Straße, aber das Ganze erzeugte schon die Illusion einer Stadt oder zumindest eines Dorfes. Die Bauten waren klein und schäbig, schienen jedoch von dauerhafter Natur zu sein. Auf der anderen Seite des Feuers stieg das Land jäh und steil in die Appalachen hinauf und verbarg dadurch die Sterne. In dem flackernden Licht erkannte ich einen Berghang, von dem sich reliefartig raue Steine und einzelne Bäume abhoben und der hier und da mit dunklen Löchern durchsetzt war.
Ich widmete mich wieder den Lebenden. Die Menge, die um das Feuer herum versammelt war – etwa zwei Dutzend Personen –, verfiel in Schweigen, als unsere Eskorte uns herbeiführte. Zuerst sah ich lediglich eine Zahl. Das war die Kriegerin in mir, die ihre Gegner zählte und einen Angriff plante. Dann nahm ich aber auch genauso wie vorhin die Gesichter richtig wahr. Das waren weitere Moroi und Dhampire. Und – wie ich zu meinem Erschrecken feststellte – auch Menschen.
Es waren keine Spender. Zumindest nicht in dem Sinne, wie ich Spender kannte. Selbst in der Dunkelheit erkannte ich schwache Bisswunden am Hals einiger Menschen, doch ihren neugierigen Mienen nach zu schließen,
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