Vampire Earth 1 - Tag der Finsternis
Chicagoland kann man natürlich alles anziehen, was man will. Ich meine wirklich alles . Ist einer von euch schon mal im Zoo gewesen? Dann wisst ihr, wovon ich rede.«
Hier und da erklang ein Johlen, überwiegend von Patrouillenmännern, bemerkte Valentine.
»Autsch«, fuhr Touchet fort, »ich habe vergessen, dass hier auch Kinder sind.«
Valentine warf Molly einen fragenden Blick zu, aber sie zuckte nur die Achseln. Plötzlich fiel ihm auf, wie reizend sie mit ihrem nassen, zurückgekämmten blonden Haar aussah. Es betonte ihre Züge und die glatte, schimmernde Haut.
»Schon in Ordnung. Ich wette, ihr fragt euch, wer ist dieser Kerl? Was kann er mir schon beibringen außer, wie ich mich auf keinen Fall anziehen sollte? Denkt das irgendwer? Kommt schon, hoch mit den Händen!«
Ein paar Hände wurden gehoben.
»Ich wette, ihr denkt: Wie lange wird er wohl reden? Kommt, Hände hoch!«
Nun sah man mehr Hände. Major Flanagan hob seine lächelnd, und die Carlsons taten es ihm nach.
»Endlich ein wenig Ehrlichkeit. Also, da ihr ehrlich zu mir wart, werde ich auch ehrlich zu euch sein. Ich bin niemand, und um euch zu beweisen, was für ein großer Niemand ich bin, erzähle ich euch etwas von mir.
Ich komme aus Nirgendwo, Illinois. Genauer gesagt, aus Süd-Nirgendwo. Das liegt kurz vor Kuhdorf und westlich von Hinterwald. Ein typisches kleines Städtchen, in dem nie etwas passiert. Ich bin schnell gewachsen und war kräftig. Das seht ihr mir jetzt nicht mehr an, aber ich hatte mal recht breite Schultern. Also bin ich bei den Patrouillen gelandet. Und ich will euch eins sagen, die Patrouillen drunten in Illinois waren damals wirklich was! Ich hatte kein Auto. Ich hatte nicht mal ein Pferd. Ich hatte ein Fahrrad, aber keine Gummireifen, also bin ich auf den Felgen gefahren. Der Höhepunkt der meisten Tage bestand darin, dass ich mit dem Ding umfiel. Jetzt ist es dort unten ein wenig besser, aber in den Dreißigern gab es nicht viel an Ausrüstung. Im Winter bin ich zu Fuß gegangen. Wir wurden damals nicht bezahlt, sondern haben nur Rationen erhalten, also gab es bei meinem Rang keine Möglichkeit, auch nur an ein Pferd zu kommen.
Ich habe zehn lange, öde Jahre auf diesem Fahrrad verbracht, bin von einem Hof zum anderen geradelt, habe alles überprüft und dabei noch Post ausgetragen. Ich habe Kuchen und Braten von einem Nachbarn zum anderen gebracht.
Du bist doch ohnehin in dieser Richtung unterwegs, sagten sie immer, wenn sie mich baten. Ich habe mich gelangweilt. Ich habe angefangen, viel zu lesen. Ich war neugierig auf die alte Welt, die gute alte Zeit, wie die Leute sie nannten. Nennt man es hier oben auch so?«
Ein paar leisere »Klar« erklangen aus dem Publikum.
»Es war einsam auf Patrouille, und wenn man einsam ist, braucht man Freunde. Und wenn ich daher einen kleinen verborgenen Schweinekoben oder einen Hühnerstall auf einem Bauernhof gefunden habe und sie sagten: ›Sei ein guter Freund und vergiss, dass du das gesehen hast, und wir geben dir ein paar Eier mit, wenn du vorbeikommst‹, hab ich mitgemacht. He, jeder will ein Freund sein. Also hab ich mitgemacht und habe dazu auch noch einen Freund und ein paar Eier bekommen. Auf einem anderen Hof hatte ich einen anderen Freund und hier und da einen Schinken. Und dann gab es noch einen Hof mit ein paar Brathühnchen, und die Straße entlang eine Flasche Milch oder eine Tüte Mais. Ich hatte viele Freunde und hab wirklich gut gegessen. Alles war wunderbar.«
Die rot gekleidete Gestalt ging auf und ab, das Mikrofon in einer und das Kabel in der anderen Hand und sah die Zuschauer eindringlich an.
»Schließlich wurde ich erwischt. Wie ich schon sagte, ich bin niemand Besonderes. Und ich war nicht besonders schlau. Eines Tages hat mein Lieutenant gesehen, wie ich die Straße entlangwackelte, mit einem Schinken an der Lenkstange und einer Schachtel mit Eiern im Korb hinten. Ich glaube, ich hatte auch einen Truthahnschenkel im Gürtel stecken, ich weiß es nicht mehr genau.
O Mann, von da an ging es wirklich bergab. Ich dachte, ich würde den Tod der tausend Schnitte sterben, als mein Lieutenant auf mich zukam. Ich machte den Fehler, ihn zu bitten, ein Freund zu sein, denn dann würde ich ihm alles
geben, was ich auf den Höfen bekam. Aber er hat sich nicht darauf eingelassen. Also war ich innerhalb von sechs Stunden, nachdem mein Lieutenant mich entdeckt hatte, im Bahnhof Bloomington und wartete auf meine letzte Fahrt nach Chicago. Sie wollten mich in
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