Vampire Earth 1 - Tag der Finsternis
Schrotflinte erhalten hatte, zu einer Zeit, die sich für Valentine anfühlte, als wären seitdem mehrere Leben vergangen.
Nachdenklich ging er über die Holzbretter. Waren es die Menschen im Freien Territorium, die den Verstand verloren hatten? All diese Verluste, all dieses Leid durch die nicht enden wollenden Kämpfe. Es sah so aus, als wäre unter den Kur eine Art von Leben möglich. Vielleicht sollten sie den Sturm aussitzen, sollten ihn zu ihrem Vorteil wenden, indem sie um ein gewisses Maß an Unabhängigkeit feilschten, statt dafür zu kämpfen. Er staunte über die Anpassungsfähigkeit der Menschheit: zum Beispiel die Flottille auf den Seen. Sie arbeiteten am Rand der kurischen Zone und säten die Saat der Zerstörung, während sie sogar noch einen Profit erwirtschafteten. Dann gab es Steiner und seine Enklave, wo man versuchte, etwas Neues aufzubauen, statt das Alte am Leben zu erhalten. Oder die Entschlossenheit des zahlen- und ausrüstungsmäßig unterlegenen Kommandos Süd, das sich in seinen hügeligen Festungen verschanzte und die Kur herausforderte und wann immer möglich den Kampf auch ins Verlorene Land trug. Selbst die kleinen Enklaven verborgener Zivilisation wie an den Boundary Waters trugen zum Kampf bei, einfach nur, indem sie überlebten.
Ein Kribbeln riss ihn aus seinen Gedanken. Mit dem starren Entsetzen eines Kaninchens, auf das der Schatten eines Adlers fällt, bemerkte er einen Schlächter. Rasch schlich er zu der kleinen Gruppe von Hütten unterhalb der Bühne. Der Schlächter schien sich den Tower Hill heraufzubewegen und brachte dabei den nächtlichen Wald zum Schweigen. Sogar die Grillen hatten aufgehört zu zirpen.
Valentine betrat die kleine Zuflucht der Wölfe. Es war ein Haus mit zwei Zimmern und unverglasten, aber zum Glück sehr kleinen Fenstern. Die Wölfe hatten die Pferde in dem größeren Raum untergebracht. Valentine legte die Finger auf die Lippen und machte dann das Fingerzeichen, das für seine Kameraden »Schlächter« bedeutete. Gonzales und
Harper nahmen die Gewehre aus dem Futteral und tasteten nach ihren Parangs.
Alle drei konzentrierten sich, ihre Lebenszeichen zu verringern und setzten sich Rücken an Rücken im Schneidersitz auf den Boden. Die Pferde würden nicht mehr Lebenszeichen abgeben als ein Rudel Rotwild, und es gab genug Wild in diesem Wald, um den Schlächter zu täuschen, selbst wenn er in der Nähe vorbeikam, solange nur die Menschen imstande waren, ihren Geist angemessen zu verschleiern. Während er seinen Geist beruhigte und in seine Mitte atmete, bemerkte Valentine, dass er den Schlächter auf dem Hügel im Westen spüren konnte. Minuten vergingen, dann eine Stunde, und schließlich bewegte sich der Schlächter weiter nach Westen, während kalter Schweiß über Valentines Rücken lief.
»Das war ein wenig zu nah«, sagte er zu den anderen Wölfen. »Sollen wir das Lager verlegen, nur für den Fall, dass er um den Hügel herumgeht?«
»Gute Idee«, stimmte Harper zu. »Ich könnte jetzt ohnehin die ganze Nacht laufen.«
Sie beschlossen, sich nach Süden zu wenden, und behandelten den Schlächter wie einen Tornado, dem man am besten entgeht, indem man im rechten Winkel zu seinem Weg flüchtet. Während Harper die Pferde bereitmachte und Gonzales ihre Spuren verwischte, ging Valentine vorsichtig den Tower Hill hinauf. Er fand Abdrücke schwerer Stiefel. Der Schlächter hatte eine Stunde am Aussichtspunkt innegehalten. Valentine fragte sich, warum. Nachdem er Harper Bescheid gesagt hatte, suchte er eine Stelle, wo die Sicht unbeeinträchtigt war, und sah sich um.
Zwei oder drei Kilometer weiter südöstlich beleuchtete ein Feuer die bewölkte Nacht. Hinter einem Schirm von Bäumen schienen ein paar Gebäude zu brennen; Valentine konnte einen kleinen Getreidesilo erkennen, der von einem
roten Schimmer umgeben war. Vielleicht hatte der Blutsauger von der Westkuppe des Tower Hill aus einen besseren Blick gehabt, aber es war untypisch für einen Schlächter, einfach dazustehen und ein Feuer um seiner Dramatik willen zu beobachten. Und das Feuer wirkte unnatürlich hell. Valentine wünschte sich, der Wind wäre günstig, damit er den Rauch riechen könnte.
Er kehrte wieder zu Gonzales und Harper zurück.
»Da drüben ist ein ziemlich großes Feuer«, erklärte er. »Ich glaube, eine Scheune oder ein Haus brennt. Sollen wir nachsehen? Es ist auf dieser Seite des Flusses, also ist es leicht zu erreichen.«
»Wollen wir das denn?«, fragte Harper.
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