Vampire Earth 3 - Donnerschläge
so ganz geklappt, jedenfalls nicht so, wie man sich Telepathie normalerweise vorstellt. Ich empfange dann und wann sonderbare Eindrücke. Visionen, Bilder, manchmal auch Geräusche. Gerade letzte Woche hatte ich akustische Wahrnehmungen mit haufenweise Gewehrfeuer und Explosionen. Die Vision von Ihnen, das war ein graues Schiff, das aus Gewitterwolken zu bestehen schien, und ich habe Ihr Gesicht gesehen, so klar und deutlich, wie ich es jetzt vor mir sehe. Ihr Freund, Mr. Ahn-Kha, war auch ein Teil der Wolken und hatte Blitze in den Augen und an den Fingerspitzen.«
»Was sehen Sie in der Zukunft?«
»Nichts, was der Bruder geschickt hätte. Aber die Männer, die meine Söhne anführen, werden die Sache zu Ende
bringen, falls Ihre Schiffe uns mit der Garnison von Kingston helfen.«
»Die kommen. Morgen sind sie da, Obede«, sagte Utari.
»Und was dann?«, fragte Valentine.
Obede blickte zur Decke hinauf. Das bunte Deckengemälde nahm sie für einen Moment gänzlich gefangen; dann richtete sie ihre Augen wieder auf Valentine. »Ein neues Jamaika. Offen für alle, so hoffe und bete ich. Nun, da das Gespenst fort ist, werden vielleicht sogar die Leute in Cockpit Country zur Vernunft kommen.«
»Und Sie?«
Obede spielte mit ihrem Ring, drehte ihn über dem geschrumpften Fingerglied zwischen den geschwollenen Gelenken. »Wer weiß, vielleicht komme ich vor meinem Tod noch dazu, mein Jurastudium zu nutzen. Unter welchem Rechtssystem operieren denn Ihre Leute in den Ozarks?«
»Sie legen an.«
Von seinem Aussichtspunkt auf einem Wasserspeicher auf dem Dach eines Hauses betrachtete Valentine das Getümmel in Kingston. Zwei Tage nach dem Tod des Gespensts liefen die Thunderbolt und zwei Drei-Mast-Klipper wie zu einer Parade in den Hafen der Stadt ein. Alle drei Schiffe waren randvoll mit allen Männern des Kommodores, die ein Gewehr halten konnten und bereit waren, sich in den Kampf zu stürzen.
Gedämpfte Donnerschläge hallten von den Docks herauf. Die Kanone der Thunderbolt zerstörte systematisch die Verteidigungsanlagen des Hafens, in denen sich die wenigen Männer, die immer noch den Befehlen eines Offiziers der Berittenen gehorchten, verschanzt hatten. Den Berichten der Kernels zufolge hatte ein Offizier der Berittenen, ein gewisser Colonel Hsei, versucht, die Herrschaft über die Organisation des Gespensts an sich zu reißen.
Dank ihrer Kontakte in Kingston wussten Valentine und Ahn-Kha vermutlich mehr über Hseis Versuch, die Zügel zu übernehmen, als der Kriegsherr selbst. Dem Colonel, der zuvor für die Stadtgarnison zuständig war, war es gelungen, einen Großteil seiner Truppen zusammenzuhalten, sogar dann noch, als die öffentliche Polizei im Landesinneren verschwunden war. Den Erfolg, den Hsei bei der Umsetzung seiner Pläne erzielte, konnte Valentine nur bewundern. Seine Methoden nicht. In einem Lagerraum neben den Regimentsstallungen stapelten sich die Leichen von Rivalen und Untergebenen, die sich seinen Zukunftsplänen für Jamaika nicht untergeordnet hatten.
Die gleiche Quelle informierte die Einwohner von Kingston, dass die Nordseite der Insel die Befreiung des Südens mit der Ankunft der Schiffe vollenden würde. Die Söhne Obedes führten Valentine und Ahn-Kha in die Stadt, und die Straßen füllten sich mit Männern und Frauen, die begierig waren, den »weinenden Mann« kennenzulernen, der sie von dem Gespenst erlöst hatte. Auf dem Weg in die Stadt fühlte Valentine immer wieder die Berührung emsiger Hände, als würden die Menschen in dem physischen Kontakt zu ihm eine Garantie für ihre Freiheit suchen.
Inzwischen brannten Häuser, und das Klappern von Hufen und die Echos der Schüsse kündeten vom Aufstand in der Stadt. Schon seit Valentines Ankunft waren Macheten und Knüppel gegen Pferde und Feuerwaffen zum Einsatz gekommen, doch ohne die Organisation des Gespensts bekam auch Hseis Macht Risse. Mit der donnernden Ankunft der Thunderbolt und der Flottille des Kommodore wurde aus dem Durcheinander ein Zusammenbruch.
Valentine, Ahn-Kha und eine Gruppe bewaffneter Jamaikaner hielten ein Haus besetzt, das in einer früheren Welt einmal ein Geschäftsgebäude gewesen sein musste.
Drei Stockwerke weiß getünchter Mauersteine mit breiten Balkonen, hinter denen sich ein Labyrinth aus Räumen verbarg. Bis zum Tod des Gespensts hatte es der öffentlichen Polizei als Baracke gedient. Valentine hatte es wegen des guten Ausblicks auf die Stadt und die Straße nach Norden ausgewählt. Da
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