Vampire schlafen fest
Fantasie und dem Freudentaumel ob meiner neuen Beziehung forttragen zu lassen, doch ich riss mich zusammen. Höchste Zeit, mal wieder der Realität ins Auge zu blicken. Ich konzentrierte mich darauf, die Gäste an meinen Tischen zu bedienen, zu lächeln und, soweit nötig, mit ihnen zu plaudern. Ein- oder zweimal brachte ich Pam noch ein neues TrueBlood. Ansonsten überließ ich sie und Amelia ihrem Tête-à-tête.
Schließlich war auch meine letzte Arbeitsstunde vorüber, und das Merlotte's leerte sich. Zusammen mit den anderen Kellnerinnen erledigte ich die letzten Aufräumarbeiten. Als endlich jeder Serviettenhalter und jeder Salzstreuer für den nächsten Tag aufgefüllt waren, ging ich den kleinen Gang entlang zum Vorratsraum, wo ich meine Schürze in den großen Wäschekorb warf. Nach unseren jahrelangen Andeutungen und Nörgeleien hatte Sam dort mittlerweile einen Spiegel angebracht. Und auf einmal bemerkte ich, dass ich absolut reglos davorstand und hineinstarrte. Ich schüttelte mich. Arlene, mit der ich in letzter Zeit nicht mehr allzu gut auskam, bauschte hinter mir ihr leuchtend rotes Haar auf. Sie hatte sich der Bruderschaft der Sonne angeschlossen. Obwohl die Bruderschaft sich selbst als eine wohltätige Organisation präsentierte, die sich der Verbreitung der »Wahrheit« über Vampire verschrieben hatte, waren ihre Reihen durchsetzt von Leuten, die in den Vampiren das Böse schlechthin sahen und es auslöschen wollten, wenn nötig mit Gewalt. Und die schlimmsten dieser Sonnenbrüder ließen ihre Ängste und ihre Wut an den Menschen aus, die mit Vampiren Umgang hatten.
An Menschen wie mir.
Arlene versuchte, im Spiegel meinen Blick aufzufangen. Was ihr aber nicht gelang.
»Diese Vampirin vorhin in der Bar, war das eine Freundin von dir?«, fragte sie mit einer ganz unangenehmen Betonung auf »Freundin«.
»Ja«, erwiderte ich. Selbst wenn ich Pam nicht leiden könnte, hätte ich sie in diesem Moment als meine Freundin ausgegeben. Alles an dieser Bruderschaft der Sonne ließ mir die Haare zu Berge stehen.
»Du solltest dich mehr mit Menschen abgeben«, riet Arlene mir. Ihr Mund war nur noch eine strenge schmale Linie, und ihre stark geschminkten Augen hatte sie vor lauter Abscheu zusammengekniffen. Arlene war nie das gewesen, was man einen klugen Kopf nannte, daher war es erstaunlich und erschreckend zugleich, wie schnell sie die Denkweise der Bruderschaft aufgesogen hatte.
»Ich bin zu fünfundneunzig Prozent meiner Zeit von Menschen umgeben, Arlene«, erwiderte ich.
»Du solltest hundert Prozent draus machen.«
»Arlene, was geht dich das eigentlich an?« Meine Geduld war schon beinahe überstrapaziert.
»Du hast doch all diese Überstunden gemacht, weil du mit einem Haufen Vampire auf irgend so eine Konferenz fahren willst, richtig?«
»Noch mal, was geht dich das an?«
»Wir waren lange befreundet, Sookie, bis dieser Bill Compton ins Merlotte's kam. Jetzt triffst du dich dauernd mit Vampiren, und bei dir zu Hause wohnen seltsame Leute.«
»Ich muss doch mein Leben nicht vor dir rechtfertigen!« Jetzt reichte es aber wirklich. In ihren Gedanken las ich nichts als Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit. Das tat weh, und es machte mir zu schaffen. Ich hatte ihre Kinder gehütet, ihren Wohnwagen geputzt, sie getröstet, wenn sie mal wieder von einem ihrer Mistkerle verlassen worden war, und sie ermutigt, mit Männern auszugehen, die ihr nicht so übel mitspielten. Und jetzt starrte sie mich nur an, völlig überrascht von meiner Wut.
»Anscheinend liegt in deinem eigenen Leben so einiges im Argen, wenn du's nötig hast, dich mit diesem Bruderschaft-Mist abzugeben«, fuhr ich fort. »Guck dir doch mal an, was für gediegene Typen du selbst abschleppst und auch noch heiratest.« Und mit dieser unchristlichen Beleidigung drehte ich mich auf dem Absatz um und stiefelte aus dem Vorratsraum hinaus. Ich war nur froh, dass ich meine Handtasche schon aus Sams Büro geholt hatte. Es gab doch nichts Schlimmeres, als einen rechtschaffenen Abgang noch mal unterbrechen zu müssen.
Irgendwie lief plötzlich Pam neben mir her. Sie hatte sich mir so blitzschnell angeschlossen, dass ich sie nicht hatte kommen sehen. Ich blickte über die Schulter zurück. Arlene stand mit dem Rücken an der Wand, das Gesicht verzerrt von Schmerz und Wut. Mit meinem letzten Satz hatte ich mitten ins Schwarze getroffen. Einer von Arlenes Liebhabern hatte ihr das Familiensilber gestohlen, und ihre Ehemänner ... tja, bei
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