Vampire's Kiss
ersten Mal«, sagte ich ein wenig atemlos.
Er brummte etwas Unverständliches, während er sich geschickt einen Weg quer durch die Menschenmenge bahnte. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir die gegenüberliegende Wand erreicht. Er legte einen Arm um mich, sah sich rasch um und schob mich dann hinter den Vorhang. Für irgendwelche Beobachter mussten wir wie ein verliebtes Paar aussehen, das sich zu ein paar heimlichen Küssen zurückzog.
Die Nachtluft umfächelte meine schweißfeuchte Stirn mit angenehmer Kühle. Carden lief auf kürzestem Weg zum Steingeländer und schwang sich über die Brüstung. Ich raffte meine Röcke und folgte ihm dicht auf den Fersen. Es wäre mir unangenehm gewesen, wenn er den Kavalier gegeben und versucht hätte, mich aufzufangen.
Der Abstand zum Boden war kaum der Rede wert. Ich landete in der Hocke und hörte ein Knistern, als der Saum meines Ballkleids riss. Dann rannte ich los. Wir kamen im Schutz einiger gedrungener, ineinander verschachtelter Steinbauten rasch voran, die nach Cardens Aussage Schlafsäle, eine Backstube und sogar eine verlassene Krankenstation beherbergten. Mit einem Mal erfüllte ein unheimliches Dröhnen die Luft, das immer lauter wurde, als wir uns einer Art Kapelle näherten.
Ich verlangsamte meine Schritte. »Was hat dieser Lärm zu bedeuten?«
»Sie singen immer noch die Toten-Laudes.« Als er meine Verwirrung bemerkte, setzte er hinzu: »Einige der Vampire halten Nachtwache, um für die Seelen der Toten zu beten.«
»Der Toten«, wiederholte ich. »Das sind … sie selbst?«
Er nickte. »Sie sind ein morbider Haufen.«
»Gruselig.«
Ich horchte angestrengt. Es war ein dumpfer, sonorer Choral, der schön geklungen hätte, wäre er nicht so aufwühlend gewesen. »Dann sind das Mönche, die da singen?«
»Falsch«, sagte er. »Das sind Vampire, die da singen. Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen.«
Wir umrundeten die Kapelle und kamen an einen seichten Bach. Ohne auch nur anzuhalten, wateten wir an Felsbrocken und gestürzten Baumstämmen vorbei ans andere Ufer. Erst als wir sicher den Wald erreicht hatten, ließen wir uns etwas mehr Zeit. Fragen über Fragen stürmten auf mich ein. »Manche dieser Typen waren Priester?«
»Manche, ja. Aber längst nicht alle.«
Die Vorstellung haute mich um. »Du meine Güte! Einige dieser Vampire waren tatsächlich so was wie heilige Männer?«
»Keine heiligen Männer«, entgegnete er. »Eher politische Männer. Aber aye, hier lebten früher mal gute Menschen. Sie opferten sich, weil sie einen Weg ohne Wiederkehr zu ihrem Schöpfer einem ewigen Leben in Verderbtheit vorzogen.«
Ich hätte Carden gern gefragt, ob man ihm die Wahl gelassen hatte, aber ich glaubte die Antwort zu kennen.
»Diejenigen, die überlebten«, fuhr er fort, »könnte man als gläubig bezeichnen. Es ist nur so, dass sie an sich selbst und nicht an Gott glauben.«
Ich zog das lange Kleid bis an die Knie hoch und kämpfte mich dicht hinter Carden durch Unterholz und Buschwerk auf eine Lichtung in der Ferne zu. Im Wald war es schattig, aber am Horizont zeigte sich ein hellgrauer Streifen – die Küste. »Wie gelangten die Vampire überhaupt in diese Einsamkeit?«
»Vor langer Zeit gab es eine Reihe von Überfällen, denen zahlreiche Klöster zum Opfer fielen. All die Männer, all der Wohlstand in einem kalten, sonnenarmen Klima – dem konnten die Vampire nicht widerstehen. Bei den Angriffen wurden ganze Siedlungen zerstört. Ob Wikinger, Norweger, Schotten, Heiden, Christen … die Menschen, die auf den Inseln im hohen Norden lebten, hatten keine Chance. Viele von ihnen wurden zu Vampiren umgewandelt.«
»Aber es gibt doch auch noch ganz normale Bewohner. Ich habe ihre Häuser auf der Insel der Nacht gesehen.«
»Überleg doch, Mädchen! Wovon ernähren sich Vampire?« Er wartete einen Moment, bis mir der Zusammenhang dämmerte.
»Igitt. Sie haben einen Teil der Menschen am Leben erhalten, weil sie … ihr Blut brauchten?«
»M-hm.« Er zuckte reumütig mit den Schultern. »Wir wollen überleben. Und dazu benötigen wir Spender.«
Wir. Ich musste Abstand zu Carden McCloud halten. Er war ein außergewöhnlicher, ungezwungener, respektloser Typ, mit dem ich obendrein einen Bund eingegangen war, den ich nicht so recht verstand. Aber er war und blieb ein Vampir. Und obwohl während dieses seltsamen Kusses etwas geschehen war, das meine drängenden Fluchtgedanken dämpfte, redete ich mir energisch ein, dass ich alles tun
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