Vampirjaegerin inkognito
übernatürliche Schnelligkeit bereits unter Beweis gestellt. Ich musste mir etwas anderes einfallen lassen. Es musste einen Weg geben, die heutige Nacht zu überleben. Ich war schließlich nicht irgendein Mensch. Ich hatte Kräfte, ich… ich hatte eine Idee. W enn diese Marcelle ein Mensch war oder eine Zauberin - oder auch ein ähnlich schwacher Vampir wie Dario – dann könnte ich sie benutzen. Mithilfe meiner Kräfte würde ich ihr eine Illusion aufzwingen, die sie Lucian als Feind wahrnehmen ließ . Sie würde ihn angreifen. Und mit ein bisschen Glück würde sie sogar mein en Auftrag erfüllen. Aber selbst, wenn nicht , konnte ich den Tumult nutzen , um zu fliehen .
Mein Blick flog zum Vampir zurück. Er beobachtete mich immer noch . Aus Langeweile begann ich, ihn meinerseits z u mustern . Im Gegensatz zu Dario stimmt e hier alles : V om attraktiven Gesicht bis zum wohlgeformten Körper . Am auffälligsten waren allerdings die Augen. Wie ein Fetzen nächtlichen Himmels zwischen weißen Wolken lag die intensiv gefärbte Iris inmitten des Auges . Umrahmt von langen, dunklen Wimpern, stach das Blau noch leuchtender hervor . Das pechschwarze Haar mit den gleichfarbigen Augenbrauen auf der elfenbeinfarbenen Haut ließ mich an Schneewittchen denken. Ich blinzelte verwirrt und schob den Gedanken von mir . Wie matschige Fußstapfen auf Pulverschnee – das passte besser! Seine Nase … da gab es eigentlich nicht viel zu sagen. Gerade, nicht zu lang und ganz und gar unauffällig. D ie Lippen setzten sich durch starke Kontu ren von der umliegenden Haut ab, waren intensiver gefärbt als der Rest und weder zu schmal , noch zu voll. Die hohen Wangenknochen gaben ihm das gewisse Etwas .
„Sie kommt“, unterbrach Lucian plötzlich meine Musterung.
Ich sah zur Tür - und keuchte erschrocken auf , als ich eine Frau im Zimmer stehen sah.
„Ihr habt gerufen, Meister?“ Sie bewegte sich auf Lucian zu. Der gräuliche Rock ihres mittelalterlichen Ballkleides wippte auf und ab.
Ihr geräuschloses Eintreten verriet mir immerhin , dass ich es mit einer Vampirin zu tun hatte. Nur brachte mich diese Erkenntnis nicht viel weiter.
„Marcelle.“ Lucian dehnte ihren Namen auf e ine unschöne Art und Weise.
Marcel le schien das nicht geheuer zu sein . S ie blieb augenblicklich stehen, näherte sich ihrem Meister nicht weiter.
Die beiden Vampire starrten einander stumm an , ganz so, als hätten sie mich völlig vergessen. Das war meine Chance. Ich konzentrierte mich auf die Vampirin. V ersuchte , dieses G efühl wieder hervorzuholen, welches die Macht von Vampiren einschätzen konnte.
„Diese Zauberin “ , Lucian sprach das Wort aus, wie ein Mensch Spinne oder Kakerlake aussprechen würde, „ behauptet, dich zu kennen.“
In mir breitete sich die Erkenntnis aus, dass Marcelle in etwa so viel Macht besaß wie ich. Ich stöhnte innerlich. Das reichte nicht. Ich mu sste es genau wissen. Wenn die Vampirin nur ein bisschen mächtiger war als ich, würden meine Fähigkeiten – und damit auch die Illusionen - keinen Einfluss auf sie haben .
Marcelle stand unbeweglich da, aufrecht, die Hände vor ihrem Bauch gefaltet. Auf den ersten Blick hätte man sie für eine lebensgroße P uppe halten können.
„Weiterhin behauptet sie, du hättest ihr von meinen Plänen erz ählt und sie… wie soll ich sagen ?“ Lucian s Blick richtete sich gespielt nachdenklich gen Zimmerdecke, dan n wieder zurück auf Marcelle. „A ngeworben.“
Ich hatte keine Zeit mehr. Jetzt oder nie. Ich fixierte Marcelle mit meinem Blick und gleichermaßen mit m einem Geist. Ich flüsterte ihr ein, dass es nicht Lucian w ar, der da vor ihr stand. S ondern ich. Ich , wie ich einen Pflock aus meiner Manteltasche zog . Ich, wie ich angriff, um sie zu töten.
„Ja, Meister, das habe ich.“
Erschrocken hielt ich die Illusion zurück, die ich gerade in Marcelles Geist hatte verankern wollen. Ich starrte die Vampirin an .
Sie warf mir einen Blick zu . Ihre dunklen Augen ruhten so lange auf mir, dass ich es als seltsam empfand. A ber kurz genug, dass es Lucian nicht auffiel. Und plötzlich wusste ich , was das bedeutete: Sie war der Spion. Es gab keine andere Erklärung. Warum sonst sollte sie ihren Meister für mich an lügen?
Ich spürte, wie meine Beine vor Erleichterung zu zittern begannen. So unauffällig wie möglich stützte ich mich an der Wand ab. Ich hatte es geschafft. Ich würde überleben. Und auch mein Auftrag war noch nicht verloren.
Marcelle
Weitere Kostenlose Bücher