Vampirmelodie
»Ich war nicht ganz sicher, ob ich’s wissen will. Aber jetzt solltest du’s mir wohl besser erzählen.«
Ich wollte mit jemandem darüber reden, was auf Alcide Herveaux’ Farm geschehen war. Aber ich konnte Tara nicht die ganze Geschichte erzählen: die entführten Werwölfe, Jannalynns Verrat an ihrem Rudel und ihrem Leitwolf, die schrecklichen Dinge, die sie getan hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Sam sich fühlte. Er hatte nicht nur das wahre Wesen seiner Freundin kennenlernen müssen – auch wenn einiges darauf hinwies, dass er immer vermutet hatte, dass Jannalynn ein doppeltes Spiel trieb –, er musste auch mit ihrem Tod fertigwerden, der richtig grauenvoll gewesen war. Jannalynn hatte versucht, ihren Leitwolf Alcide zu ermorden, stattdessen aber Sam tödlich verwundet. Und dann hatte Mustapha Khan sie hingerichtet.
Ich machte den Mund auf, um wenigstens den Versuchzu unternehmen, die Geschichte zu erzählen, wusste aber nicht, wo ich anfangen sollte. Hilflos sah ich meine Freundin seit Kindertagen an. Sie wartete, mit einem Blick, der besagte, dass sie in meiner Küche sitzen bleiben würde, bis ich ihre Fragen beantwortet hatte. Schließlich sagte ich: »Im Wesentlichen ist es so, dass Jannalynn nun vollständig und für immer von der Bildfläche verschwunden ist und ich Sam das Leben gerettet habe. Eric hat jedoch das Gefühl, dass ich stattdessen etwas für ihn hätte tun sollen. Etwas sehr Wichtiges, das mir auch bewusst war.« Die Schlusspointe ließ ich aus.
»Dann ist Jannalynn also gar nicht in Alaska, um ihren Cousin zu besuchen.« Tara presste die Lippen aufeinander, um nicht so schockiert zu wirken, wie sie war. Aber es war auch ein Anflug von Triumph zu spüren. Sie dachte, dass sie doch gewusst hatte, dass an dieser Geschichte irgendetwas faul war.
»Nicht, wenn’s in Alaska nicht sehr viel heißer geworden ist.«
Tara kicherte; na ja, sie war auch nicht dabei gewesen. »Hat sie etwas derart Schlimmes getan? Ich hab in der Zeitung gelesen, dass sich jemand dem zuständigen Detective gegenüber am Telefon zum Mord an Kym Rowe bekannt hat und dann verschwunden ist. Ist das etwa zufällig Jannalynn gewesen?«
Ich nickte. Tara wirkte nicht schockiert. Sie wusste alles über Menschen, die schlimme Dinge taten. Zwei davon waren ihre Eltern gewesen.
»Und seitdem hast du also nicht mit Sam geredet«, stellte sie fest.
»Zuletzt am Morgen danach.« Ich hoffte, Tara würde sagen, dass sie ihn gesehen, mit ihm geredet habe, doch sie ging stattdessen zu einem Thema über, das sie interessanter fand.
»Und was ist mit dem Wikinger? Warum ist der sauer? Sein Leben musste doch nicht gerettet werden. Er ist schon tot.«
Ich hob die Hände und versuchte, die richtigen Worte zu finden. Okay, ich konnte genauso gut gleich ganz ehrlich sein, wenn nicht gar drastisch. »Es ist so … ich hatte einen Wunsch frei. Und den hätte ich zu Erics Vorteil nutzen können, um ihn aus einer schwierigen Situation zu befreien. Was seine Zukunft vollkommen verändert hätte. Doch stattdessen habe ich ihn genutzt, um Sam zu retten.« Und dann hatte ich auf das Nachspiel gewartet. Denn der Einsatz von magischen Kräften hatte immer Konsequenzen.
Tara, die richtig schlechte Erfahrungen mit Vampiren gemacht hatte, lächelte breit. Eric hatte ihr früher zwar mal das Leben gerettet, trotzdem empfand sie für ihn die gleiche generelle Abneigung wie für alle Untoten. »Hat dir etwa ein Flaschengeist drei Wünsche gewährt, oder so was?«, fragte sie und versuchte, die Freude in ihrer Stimme zu unterdrücken.
Auch wenn sie nur gescherzt hatte, eigentlich entsprach genau das so ziemlich der Wahrheit. Man ersetze »Flaschengeist« durch »Elfe« und »drei Wünsche« durch »einen Wunsch«, und schon hat man die ganze Geschichte in einem Satz. Oder in einem Cluviel Dor.
»So was Ähnliches«, erwiderte ich. »Eric hat ziemlich viel um die Ohren zurzeit. Lauter Dinge, die sein Leben komplett umkrempeln werden.« Obwohl das, was ich sagte, absolut der Wahrheit entsprach, klang es wie eine schwache Ausrede. Tara versuchte, nicht spöttisch zu lächeln.
»Hat irgendeiner aus seinem Gefolge dich angerufen? Was ist mit Pam?« Tara dachte, dass ich allen Grund zur Sorge hätte, wenn die Vampire des Bezirks beschlossen hatten, dass ich nicht mehr wichtig für sie war. Und sie hatte ganz recht, beunruhigt zu sein. »Nur weil du mitdem großen Kerl Schluss gemacht hast, muss das doch nicht heißen, dass sie dich
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