Vampirsaga 02 - Honigblut
hochnahm. Das es sich hier um eine Demonstration ihrer Macht handelte, nicht um eine vollständige Neuordnung der Ketten-Gesellschaft, war allen klar, trotzdem war Jennifer Schreiner Honigblut die Stille im Saal durchdringender als der Lärm zuvor, und die Welt schien gespannt den Atem anzuhalten.
Die Gestalt der schlanken, rothaarigen Königin verschwamm, als würde sie unwirklich, schwebte zwischen zwei Welten, war nicht wirklich hier und nicht wirklich dort, während sie an beiden Orten zugleich war.
Ein Raunen und Staunen ging durch die Vampire, während die Königin, ganz ein ätherisch-durchscheinendes Wesen, sie mit wissenden Augen ansah und gleichzeitig den Frauen ihre Fragen, ihre Alternativen stellte und anbot.
Das Raunen wurde lauter, als eine Frau aus der Kette erschien, sich kurz in der Realität manifestierte und dann vor den Augen der versammelten Vampire verging. Es war, als alterte sie in einem Zeitraffer, der sich nur auf ihren Körper beschränkte. Sie war schon Staub, als die fassungslosen Vampire begriffen hatten, welche Schönheit ihnen für einen Sekundenbruchteil gezeigt und wieder genommen worden war.
Einer der Vampire gab einen Kummerlaut von sich, streckte seine Hand nach der Verflossenen aus, als könnte er sie halten, ihr etwas geben, damit sie blieb. Doch ihre Entscheidung war endgültig.
Die Tränen, die ihm übers Gesicht liefen, waren echt. Ebenso echt wie seine Aura, die in einem dumpfen Braun-Grau waberte und alles abblockte, was seine Freunde ihm anboten.
Gorgias Blick traf Xylos, als eine andere Frau aus einer anderen Kette den Freitod wählte. Nach Jahrhunderten der Unsterblichkeit schienen sie erfreut, endlich den Weg allen Lebens gehen zu dürfen. Als eine dritte Frau erschien, brach der Callboy den Blickkontakt zu dem jüngeren Vampir ab. Er kannte sie, hatte sie schon im Club gesehen. Sein Mund öffnete sich und flüsterte ihren Namen.
Als habe sie ihn gehört, drehte sie ihren Kopf zur Seite und sah ihn mit ihren junggebliebenen Augen in dem rasch alternden Gesicht an. Das vorwurfsfreie Lächeln, welches sie ihm schenkte, direkt bevor ihr Geist brach und ihre Seele freigab, gab den Ausschlag.
Der Vampircallboy starrte auf die Stelle, an der die Frau noch Sekunden zuvor gestanden hatte. Sie in der Kette zu sehen – ihren schönen, jungen Körper, den sie anscheinend oft und auf jede erdenkliche Art zu töten versucht hatte, war schlimm gewesen. Doch ihr Blick war verheerend.
Sie hat dich geliebt, dir auf gewisse Art vertraut, und du hast sie weitergereicht und ihr Leben zerstört! Xylos musste gegen die Tränen ankämpfen. Ich bin nicht besser als sie! Keinen Deut besser als die schönen Frauen!
Im Wissen beobachtet zu werden, kämpfte Xylos die Emotionen zurück, hielt seine Aura gefangen und sorgte dafür, dass sein Gesicht nichts von seinen Gedanken preisgab, die ihn erschütterten.
Gorgias konnte sehen, wie sich Xylos Gesicht verhärtete. Wo ist meine Kette? Wo sind die, die ich liebe? Sie waren nicht bei den Ketten gewesen, die die Königin nun besaß. Gorgias hätte sie zwischen hunderttausend Ketten; seine Lieben unter Millionen Frauen gefunden. Er hätte ihre offensichtliche Anwesenheit gespürt.
Hatte Xylos sie nicht abgegeben? Verbarg er das hinter seinem abweisenden Gesichtsausdruck? Ha! Dass ich nicht lache! Xylos der Enthaltsame! Wahrscheinlich schirmt er sie vor mir und der Königin ab und behält sie für sich. Jennifer Schreiner Honigblut
Gorgias Blick glitt über Xylos Gestalt und etwas in seinem Inneren verkrampfte sich. Oder sind sie schon tot? Haben sie sich aufgegeben geglaubt? Einer fremden Macht ausgeliefert? Niemals hätte Gorgias sie ausliefern dürfen, sie niemals ausgerechnet dem Callboy geben.
Bastard! Gram glühte durch seine Adern und verbrannte seine Nervenbahnen. Ich habe es ihnen versprochen!
Xylos Blick bohrte sich in seinen, und für Sekunden glaubte Gorgias, der andere habe ihn durchschaut, doch als er seine eigene, emotionale Mauer abklopfte, fand er sie fest und stabil. Seine Schuldgefühle sicher verstaut.
Fee! Bezaubernde Fee! Er blinzelte. Meine Fee! Wenigstens sie würde er in Sicherheit bringen!
Abrupt drehte sich Gorgias um und verließ den Raum, ohne dass einer der anderen ihn versuchte aufzuhalten. Sein Geruchssinn wies ihm den Weg zu seiner Geliebten.
Xylos registrierte Gorgias Abgang mit einem mentalen Schulterzucken. Jetzt, wo der junge Vampir nicht mehr
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