Vampirzorn
aber auch nicht ...
Gleich in der ersten Nacht, nachdem sie von Karthago aus aufgebrochen waren, beschwor Radu einen Nebel aus dem Meer herauf, einen Vampirnebel, der sich wie zäher Schleim auf die Haut von Belisarius’ Seeleuten legte. Als der Nebel sich wieder verzog, war der Hunde-Lord schon davongesegelt, und nun befehligte er eine Flotte von zehn Schiffen ...
In Radus Erinnerung gewann die Vergangenheit an Geschwindigkeit, ungefähr so, als würde ein Windstoß das Buch der Geschichte umblättern. Die Abfolge der Geschehnisse verschwamm vor seinem geistigen Auge, die Ereignisse überlagerten einander. Es war, als liege er im Sterben und sähe sein Leben noch einmal vor sich ablaufen, ehe ihn der wahre Tod ereilte. Selbst im Schlaf beunruhigte ihn dieser Gedanke. Denn vielleicht würde er ja wirklich bald sterben, falls die Pestkeime in ihm noch immer wirksam waren und sein Vampirfleisch verzehrten. Und noch immer wurden die Seiten eine nach der anderen umgeschlagen, und er vermochte den Blick nicht abzuwenden.
... Die Vandalen gab es nicht mehr, ihr Königreich war für immer untergegangen. Damit war wenigstens ein Blut-Eid des Hunde-Lords erfüllt. Dennoch hatte er genug davon, sich von Menschen herumkommandieren zu lassen. Es war an der Zeit, dass er sich anderen Dingen zuwandte.
Hundertzwanzig Jahre lang lebte Radu als Korsar, als Seewolf. Seine Standarte zeigte den Umriss eines Wolfsschädels vor dem Rund des vollen Mondes. Immer wieder tauschte er seine alternden Schiffe gegen die Schiffe von Kaufleuten und deren Geleitzüge aus oder gegen eroberte Kriegsschiffe, die ausgesandt worden waren, um ihn zu jagen. Aber er verlor auch ständig Schiffe, und irgendwann hatte er von seinen ursprünglich zehn nur noch drei.
Im Jahr 654 n. Chr. wurde er in der Nähe von Rhodos von einer Flotte arabischer Kriegsschiffe gestellt. Zwei seiner Schiffe gingen in Flammen auf und sanken, noch ehe die Nacht anbrach. Radu blieb nichts anderes übrig, als mit letzter Kraft nach Kreta zu segeln, um sein Schiff dort auszubessern, und schließlich weiter nach Sizilien. Inzwischen war ihm klar, dass das Mittelmeer kein sicheres Jagdgebiet mehr war. Der Islam hatte sich zu einer Macht entwickelt, mit der man rechnen musste, und der Hunde-Lord würde gut daran tun, an die Zukunft zu denken. Doch wie dem auch sein mochte, er hatte die Nase voll von Seeschlachten. Es war eine Sache, an Land Mann gegen Mann zu kämpfen – mit Schild und Schwert oder auch mit Zähnen und Klauen konnte er es mit zehn Feinden auf einmal aufnehmen –, auf See dagegen war es etwas völlig anderes. Dort blieb der Feind auf Distanz und schleuderte mit seinen Wurfmaschinen zischende Feuerbälle auf einen ... dort stand man auf einem brennenden Deck, umgeben von Hitze und Gestank, und bekam mit, wie einem das Schiff unter den Füßen wegsank! ... Das war doch kein faires Kämpfen! Nicht dass er sich jemals um Fairness geschert hätte ...
Die folgenden einhundertsechzig Jahre verbrachte er als Räuberhauptmann in den Bergen Korsikas. Von dort aus überfiel er die an der Küste gelegenen Städte und Dörfer. Und da er ein Wolf war, vermochte ihm in dem zerklüfteten Terrain niemand zu folgen – es gab ohnehin niemanden, der dies wagte. Keiner, der sich zu seiner Verfolgung aufmachte, kehrte je zurück! So wurde er zum Ersten einer langen Reihe korsischer Banditen. Doch noch waren die Sarazenen nicht gelandet; muslimische Piraten aus Sizilien entwickelten sich rasch zu einer weit schlimmeren Geißel als der Hunde-Lord; und schließlich musste er wieder weiterziehen.
Radu und seine kleine Schar stahlen ein Schiff und segelten nordwärts Richtung Lombardei, wo sie landeten und sich zu Fuß in das Gebiet der Bulgaren aufmachten, und von dort hinab an die Donau, die Radu so gut kannte ...
... und sofort wieder hinauf in die Karpaten, als er feststellte, wie erbittert die Bulgaren kämpften! Ah, aber diese Erfahrung hatten die Drakuls ebenfalls gemacht, wenn man den »Sagen und Legenden« Glauben schenkte, die bulgarische Großmütter ihren Enkeln am Herdfeuer erzählten:
Es war jetzt zweihundert Jahre her, dass ihre tapferen Vorfahren die Obours , die Vampire in deren Bergfesten aufspürten und verjagten. Die Obours waren blutsaugende Kreaturen, die kleine Kinder und Jungfrauen fraßen und die Gestalt einer Fledermaus annehmen konnten, um in die Nacht zu entfliehen. Einige waren auf diese Art zwar entkommen, ihre Knechte und Odalisken jedoch mussten sich
Weitere Kostenlose Bücher