Vampirzorn
Jean rufen, ein mentales Geheul anstimmen solle, das all seine Mondkinder, nah und fern, vernehmen würden. Doch noch war es nicht so weit, er selbst war noch nicht bereit dazu. Außerdem war sie eine Verräterin oder spielte zumindest mit dem Gedanken, ihn zu hintergehen. Was denn, mit Harry Keogh? Das war lächerlich! Schließlich war dieser Harry Keogh bloß ein Mensch, und sie gehörte zu Radu. Sie gehörte Radu.
Ah, aber dieser Kerl war eben nicht bloß irgendein Mensch, sondern der Mann, den Radu brauchte! Der Mann-mit-den-zwei-Gesichtern, der Geheimnisvolle – sein neuer Körper, sollte dies notwendig werden. Aber gemach, gemach! Lange würde es nicht mehr dauern, und was bedeuteten nach all der Zeit schon ein, zwei, drei Wochen ... oder auch sieben? Sieben Wochen! Länger nicht mehr, und Radu hatte noch viel zu tun.
Sein Blut floss schneller; in seinen Gliedern spürte er die kalten, lebenserhaltenden Flüssigkeiten, die ihn umgaben. Tief in seiner Brust tat sein Herz einen Schlag, einen einzigen nur, der ziemlich kräftig klang, als er telepathische Sonden in eine Welt hinaussandte, die ihm, abgesehen von dem wenigen, das Bonnie Jean und der Alte John ihm darüber klargemacht hatten, gänzlich fremd geworden war.
Er ließ seine Sinne schweifen, gleichzeitig sandte sein Parasit körperliche Sonden – in Form von Röhrenwürmern aus metamorphem Fleisch – durch das Harz hinauf, um nach Rissen in der Kruste zu suchen. Luft! Ob nun unbewusst oder willentlich, Luft wurde in seinen Körper gesogen, der Sauerstoff herausgefiltert und geradewegs in seinen immer rascher fließenden Blutkreislauf gepumpt.
Poch! Sein Herz tat erneut einen Schlag, und nach mehreren langen Sekunden noch einen: Poch!
Nun waren es schon zwei Herzen, seines und dasjenige seiner Kreatur, doch beide schlugen sie noch ziemlich unregelmäßig. Tief im Innern musste Radu lachen, er bellte wie ein großer Hund, der er ja schließlich auch war – allerdings nur einen Augenblick lang, dann ...
... verstummte er abrupt, als seine telepathischen Sonden auf gleichgeartete Sinnessendungen stießen. Vampire, vielleicht gar Wamphyri! Knechte also oder Leutnants, aber ob nun Drakuls oder Ferenczys vermochte Radu nicht zu sagen; dazu hatte der Kontakt nicht lange genug bestanden, ehe er seine Sonden zurückzog und seinen Geist abschirmte. Allein diese kurze Berührung reichte aus, ihn zu elektrisieren, und zwar so sehr, dass seine metamorphen Saugrüssel sich wie von selbst in ihn zurückzogen, eine Spur winziger Blasen hinterlassend, die durch das Harz bis hinauf zur Kruste aufstiegen, sich dort fingen und gelben Schaum bildeten.
Vampire! Es waren Vampire, und sie befanden sich hier, hier in Schottland, und hielten die Ohren offen. Wegen ihm, zweifelsohne! Und wenn er schließlich nach Bonnie Jean rief, würden sie dies ebenfalls mitbekommen. Nur wäre es dann zu spät, denn dann würde er bereit sein. Und auch Bonnie Jean würde wissen, dass sie da wären, was sie wohl dazu bringen dürfte, etwaige ... eigene Pläne hintanzustellen. Oh ja, Radu war felsenfest davon überzeugt, dass Bonnie Jean Pläne geschmiedet hatte – immerhin war sie eine Wamphyri! Ganz gleich, wie oft sie sich den Kopf darüber zerbrochen und er es ihr ausgeredet hatte, mittlerweile müsste sie sich dessen eigentlich gewiss sein.
Eine Wamphyri, aye, allerdings noch unerfahren und den Lords nicht gewachsen, die sich jetzt, in diesem Augenblick, irgendwo da draußen befanden, auf der Suche nach dem Bau des Hunde-Lords. Bonnie Jean musste zu derselben Schlussfolgerung gelangen: Wenn sie überleben wollte, war sie auf den Instinkt, die Erfahrung, ja, die gnadenlose Heimtücke und Brutalität von jemandem angewiesen, der bereits zehnmal so lange lebte wie sie! Darum musste sie ihrem Hunde-Lord »treu« ergeben bleiben bis zuletzt. Und das würde sie auch, das wusste Radu, denn für einen Wamphyri bedeutete Überleben alles.
Das heißt, ihm bedeutete es alles. Was Bonnie Jean anging: Sie war es nicht wert. Sie war entbehrlich.
Sie war Fleisch und Blut, mehr nicht ...
TEIL DREI: DAS DUNKEL RÜCKT HERAN
ERSTES KAPITEL
VISIONEN UND HEIMSUCHUNGEN
Es war jetzt vierzehn Tage her, dass Harry B. J. gesehen hatte. Einerseits fehlte sie ihm – und andererseits auch wieder nicht. Das letzte Mal, als sie bei ihm gewesen war, war er mitten in der Nacht schweißgebadet aufgewacht und hatte geglaubt, neben einer haarigen Hündin zu liegen. Sie hatte viel zu viele Brüste gehabt, die
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